Eine Handvoll Wasser

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Im Langfilmdebüt des Regisseurs Jakob Zapf erweicht ein Flüchtlingsmädchen aus dem Jemen das Herz eines grantigen Witwers, der eigentlich mit dem Leben abgeschlossen hat. Mit Jürgen Prochnow und der Nachwuchsmimin Milena Pribak in den Hauptrollen funktioniert das nüchtern inszenierte Drama als Beschreibung einer zwischenmenschlichen Annäherung, bei der große gesellschaftliche Themen ins Private greifen. „Eine Handvoll Wasser“ lief bei den Hofer Filmtagen und beim Cinequest-Festival in San Francisco.

Website: https://jip-film.de/eine-handvoll-wasser

Deutschland 2020
Regie: Jakob Zapf
Buch: Marcus Seibert, Ashu B.A., Jakob Zapf
Darsteller: Jürgen Prochnow, Milena Pribak, Pegah Ferydoni, Anja Schiffel, Anke Sevenich
Laufzeit: 94 Min.
Verleih: jip film & verleih
Kinostart: 11.11.2021

FILMKRITIK:

Seit dem Tod seiner Frau vor zwei Jahren verschanzt sich der 85-jährige Konrad (Jürgen Prochnow) in seiner tristen Alltagsroutine. Auch seine entfremdete Tochter kann die Lebensgeister des Starrkopfs nicht wecken, zumal sie zu Konrads Verdruss mit einer Frau verheiratet ist, deren Kinder sie adoptieren will. Statt mit seinen Mitmenschen beschäftigt sich Konrad lieber mit seinem großen Aquarium. Das ändert sich, als die kleine Thurba (Milena Pribak) in seinen Keller einsteigt und Konrad sie als vermeintlich bedrohlichen Einbrecher mit einer Nagelschusspistole am Arm verletzt. Thurbas jemenitischer Familie droht die Abschiebung, weshalb das Mädchen von zu Hause ausgebüxt ist – denn nur wenn die Kinder vollzählig sind, dürfen die Behörden die Abschiebung durchsetzen. Konrad, der nach dem Zweiten Weltkrieg selbst aus den Ostgebieten flüchten musste, erkennt Thurbas missliche Lage und nimmt sich ihrer an, obwohl er „Zigeuner“ eigentlich nicht leiden kann. Das Mädchen wächst dem Alten schrittweise ans Herz, bis er schließlich ein Wagnis eingeht, um ihr zu helfen.

Der Regisseur Jakob Zapf inszeniert die zaghafte Annäherung auf eine leise, unspektakuläre Weise. Dabei setzt er durchaus auf kleinere Spannungsmomente und emotionale Zuspitzungen, die aber stets im Alltäglichen verankert bleiben. Die Dramatik ergibt sich aus der Figurenkonstellation selbst, lediglich die polizeiliche Suche nach Thurba forciert in manchen Momenten eine äußere Spannung. Im Wesentlichen bleibt die Geschichte bei Konrad und Thurba und ihrer unsentimentalen, gewissermaßen bodenständigen Interaktion. Viel Anteil am Gelingen ist dem effektiven Spiel des Charaktermimen Jürgen Prochnow zuzuschreiben, der seiner lakonisch angelegten Figur ohne große Gesten viel Präsenz verschafft und gut mit der jungen Nachwuchsdarstellerin Milena Pribak harmoniert. Durch Konrads trockenen Charakter kommt das Drama trotz der schweren Abschiebethematik und der beim Vater unbeliebten gleichgeschlechtlichen Ehe der Tochter ohne pädagogischen Zeigefinger aus. Das bekannte Motiv des übellaunigen Rentners, dessen Herz durch zwischenmenschliches Zutun erweicht, wirkt so weniger abgedroschen als es im Grunde ist.

Die von Tristan Chenais geführte Handkamera wirkt mitunter dokumentarisch und trägt ebenso zur Bodenständigkeit des Films bei wie die uneitle Ausstattung, die eine betuliche Vorortatmosphäre vermittelt. Durch das Breitbildformat agieren die Personen meistens im selben Bild, was den Fokus auf die Figurendynamik unterstreicht. Ein Stück Extravaganz transportiert der sparsam eingesetzte Score, der neben den typischen „Drama-Instrumenten“ Klavier und Geige ein Cello erklingen lässt. Ein schöner Kniff ist auch die Metaphorik rund um Konrads Aquarium. Das darin platzierte U-Boot-Modell rekurriert einerseits auf Prochnows Paraderolle aus „Das Boot“ und funktioniert zugleich als Metapher für Konrads abgetauchte Lebensweise und Thurbas Gefühl der Eingesperrtseins. Das Mädchen wird zudem leitmotivisch von einem Schwarm Zugvögel begleitet, was wie ein Versprechen auf die erhoffte Freiheit wirkt. Am Ende akzeptiert der sture Konrad, dass nicht alles wie früher sein muss und der Lebensabend lohnende Veränderungen bringen kann.

Christian Horn