Eine Perle Ewigkeit

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Vom peruanischen Bürgerkrieg zu berichten, ohne ihn zu zeigen, damit ist dem bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin mit dem Goldenen Bären ausgezeichneten „Eine Perle Ewigkeit“ ein gewisser Kunstkniff gelungen. Claudia Llosa erzählt darin vom Erwachen einer jungen Frau und wie diese sich nach dem Tod ihrer Mutter mehr und mehr ihrer Umwelt öffnet. Der leise, poetische Ton der Geschichte in Verbindung mit einer ausdrucksstarken Bildsprache machen den Reiz dieser an Symbolen reichen Produktion aus.

Webseite: www.neuevisionen.de

OT: La teta asustada
Spanien, Peru 2009
Buch und Regie: Claudia Llosa
Darsteller: Magaly Solier, Susi Sánchez, Efraín Solís, Marino Ballón, Antolín Prieto
Länge: 94 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 5. November 2009
 

PRESSESTIMMEN:

Die märchenhafte Tragikomödie von Claudia Llosa, die auf der letzten Berlinale den Goldenen Bären erhielt, ist die Fortsetzung des magischen Realismus mit den Mitteln des Kinos. Leichthändig erzählt Llosa von den Sagen und Mythen ihres Landes und vond essen gewalttätiger Geschichte, die seine Bewohner bis heute prägt. Ein Film von großer Zartheit...
DER SPIEGEL

FESTIVALS und PREISE:

Internationale Filmfestspiele Berlin: Goldener Bär für den besten Film, FIPRESCI Award

Internationales Filmfestival Guadalajara: Bester lateinamerikanischer Spielfilm, Beste Schauspielerin: Magaly Solier

Open Doek Filmfestival: Besondere Erwähnung durch die Festivaljury

Festival L‘Étoile de Caux’: Großer Preis

Filmfest Gramado: Bester Film, Beste Regie, Beste Schauspielerin: Magaly Solier


FILMKRITIK:

Als ihre Mutter stirbt, ist Fausta gezwungen, die Geborgenheit ihrer Hütte in einem Vorort von Lima zu verlassen. Um der Mutter ein würdevolles Begräbnis zu ermöglichen, muss die öffentlichkeitsscheue Fausta Geld verdienen, vor allem aber auch ein eigenständiges Leben führen. Sie kommt als Hausangestellte bei einer reichen und berühmten Pianistin in der Hauptstadt unter. Diese hört Fausta eines Tages zufällig alte, indianische Volkslieder singen und bittet sie daraufhin, sie ihr persönlich vorzusingen. Für jeden Vortrag verspricht sie ihr eine Perle einer gerissenen Halskette. Fausta willigt ein in der Hoffnung, durch den Erlös der Perlen die Beerdigung der Mutter zahlen zu können.

Faustas Lieder aber sind nicht das einzige Geheimnis der jungen Peruanerin. Ihr zweites ist eine Kartoffel, die sie sich in ihre Vagina gesteckt hat als Schutz vor Vergewaltigungen. So jedenfalls haben es die Frauen während des peruanischen Bürgerkrieges gemacht, und Fausta hat Angst, dass es ihr eines Tages auch einmal so gehen könnte wie ihrer Mutter. Die fast schon surreale Gegenwart ihres natürlichen Schutzschildes aber macht die Angst für sie noch weitaus gegenwärtiger, weshalb sie Kontakt zu Männern meidet, zurückgezogen lebt und sich sogar davor fürchtet, dem Gärtner das Tor zur Innenstadtoase zu öffnen. Doch nun scheint die Zeit reif für Fausta, sich ihrem Trauma und ihren Ängsten zu stellen.

Es ist eben diese subtile Verknüpfung von politischer Dimension mit einer ganz persönlichen Geschichte, die hier alte Mythen und aktuelles Leben zusammen bringt und tiefsitzende Sehnsüchte und Ängste zu Tage fördert. Es tut gut, dass Claudia Llosa die Ernsthaftigkeit dieser grundsätzlich tragischen Befreiungsgeschichte immer wieder mit Humor und komisch wirkenden Situationen durchsetzt. In der Schilderung des Alltags in der Hüttensiedlung geschieht dies immer wieder. Ganz besonders zum Ausdruck kommt es in der Darstellung der vor Kitsch triefenden Hochzeitszeremonien, in denen sich das einfache Volk für einen Moment der Utopie einer heilen, perfekten und vergnügten Welt hingibt, dabei jedoch nicht zu bemerken scheint, in welch unromantischer Umgebung (für westliche Maßstäbe jedenfalls) es sich dazu einrichtet. Gerade das Hochzeitsmotiv steht dem psychischen Leiden Faustas dabei diametral entgegen. Ein anderes Gegensatzpaar stellt das Leben in der von üppigen Pflanzen umgebenen, fast wie ein Paradiesgarten wirkenden Villa der Pianistin und in der in staubiger, karger Umgebung befindlichen Vorortsiedlung dar.

Spannend an „Eine Perle Ewigkeit“ ist es, der Entwicklung und den Veränderungen von Faustas Figur zuzusehen. Magaly Solier, die auch schon in Claudia Llosa einem magischen Realismus folgenden „Madeinusa“ vor der Kamera stand, verleiht ihr all ihre Verletzlichkeit und Schüchternheit, umgibt sie mit einem Panzer, den zu sprengen es einiger Geduld sowie großem Verständnis und Einfühlungsvermögen bedarf. Wer sich darauf einlässt, Faustas Leiden als die Möglichkeit eines Aufbruchs zu akzeptieren und ihren Mut anerkennt, dem Leben und der Wirklichkeit die Stirn bieten zu wollen, wird Freude an dieser sensiblen, ganz sicher aber auch nicht einfachen Geschichte haben.

Thomas Volkmann

Man kann sagen, dass „Eine Perle Ewigkeit“ davon erzählt, wie es ist, etwas mit der Muttermilch aufzusaugen. In unseren Breiten ist damit immer etwas Positives verbunden. Die Peruanerin Claudia Llosa erzählt hingegen davon, wie ein Mädchen mit der Milch die Angst der Mutter aufsaugt und sich in ihrem erwachsenen Dasein mühsam davon befreit. Der Film, überraschender Gewinner der diesjährigen Berlinale, greift die Vergewaltigungen der Terrororganisation Sendero luminoso auf, ohne in die Fallen des Betroffenheitskinos zu geraten. Es ist eine manchmal spröde, aber bildstarke Auseinandersetzung mit einem gesellschaftlichen Trauma, das im Gesicht eines Opfers (grandios: Magaly Solier) in immer neuen Facetten zum Ausdruck kommt.

Ein Paukenschlag steht am Anfang. Auf dem Sterbebett entströmt einer alten Frau das Leid ihres Lebens. Eine Vergewaltigung zerstörte ihre Existenz, und, so fürchtet sie, auch die ihrer Tochter Fausta (Magaly Solier), die schreckensstarr neben ihr sitzt. Das ist schlimm genug, verstörend wird es dadurch, dass die alte Frau nicht von ihrem Leid erzählt, sondern singt. Lieder, erfährt man in der Eingangsszene, sind die einzige Möglichkeit, etwas mitzuteilen, worüber sonst geschwiegen wird. Auch Fausta, diese verschlossene und furchterfüllte junge Frau, fängt immer dann an zu singen, wenn sie die Angst zu überwältigen droht. Solche Situationen gibt es genug. Fausta kann nicht ohne Begleitung nach draußen gehen, sie fürchtet alles Neue, vor allem aber ängstigt sie der Tod ihrer Mutter. Sie will bei ihr bleiben und zögert die Beerdigung hinaus. Denn sie wähnt sich von allen guten Geistern verlassen und von den bösen verfolgt, die von der Mutter auf sie überspringen. Ihr Onkel, bei dem Fausta wohnt, setzt ihr ein Ultimatum. Bis zur Hochzeit der Cousine muss der Leichnam begraben sein. Fausta muss wohl oder übel etwas unternehmen, um an Geld zu kommen, damit sie die Beerdigung bezahlen kann.

Es ist ein ambivalenter Gang, auf den sich die traumatisierte Frau begibt. Claudia Llosa gönnt ihrer Protagonistin keinen geraden Weg zur Befreiung, sondern schickt sie in ein Labyrinth. Es ist eine Welt voller Fallstricke und Gefahren, aber zugleich die einzige Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen und vielleicht einen Platz im Leben zu finden. Die Aufnahmen von den Außenbezirken Limas, in denen Fausta lebt, dem Haus einer Pianistin, in dem sie arbeitet, und den Wegen, die sie geht, sind von markanten Linien geprägt und wirken wie gerahmt. Sie geben Halt, wirken aber auch wie die Begrenzungen eines Gefängnisses – ein Zwiespalt, in dem sich Fausta permanent befindet. Sie bewegt sich taumelnd durch diese Welt, die ihr so fern zu sein scheint wie ein Planet am Himmel. Was Fremdheit heißt, wird hier beängstigend deutlich. Fausta hat sich einen Schutz gegen Gewalt zugelegt, der beiläufig, aber wirkungsvoll den Blick gerät. Ein zweiter Paukenschlag, der konkret und metaphorisch den Weg ins Freie ebnen könnte.

Die Grenzen zwischen den inneren und äußeren Räume beginnen im Gang der Ereignisse zu verschwimmen, ebenso wie Faustas Ziel, die Toten zu befreien und sich selbst von den Toten zu befreien. Unaufdringlich wird hier ein sanftes Plädoyer für das Leben gehalten, das zwar manchmal ein etwas unheimliches Labyrinth ist, aber auch ein Abenteuer, wenn man die Toten ruhen lassen kann.

Volker Mazassek