Elemental

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Mit dem Kinderzimmerabenteuer „Toy Story“ begann 1995 die Erfolgsgeschichte des Animationsstudios Pixar, das nicht nur in Sachen Optik immer wieder neue Maßstäbe setzte. Auch erzählerisch zeigte sich die zum Disney-Konzern gehörende Schmiede erstaunlich oft auf der Höhe. Filme wie „WALL·E – Der Letzte räumt die Erde auf“, „Alles steht Kopf“ oder „Soul“, um nur ein paar Beispiele zu nennen, unterhalten auf clever-herzerwärmende Weise. Aber: Ist es nach fast 30 Jahren seit dem glorreichen Start noch möglich, die Qualität zu halten? Die 2022 veröffentlichte Astronautensause „Lightyear“ und „Elemental“, der nunmehr 27. Pixar-Streifen, lassen daran etwas zweifeln. Trotz gewohnt bestechender Bilder dominiert konventionelles Storytelling, das sich eher mechanisch anfühlt, anstatt ehrlich zu berühren.

Webseite: https://www.disney.de/filme/elemental

Regie: Peter Sohn
Drehbuch: John Hoberg, Kat Likkel und Brenda Hsueh
Deutsche Stimmen: Emilia Schüle, Jannis Niewöhner u. a.

Länge: 110 Minuten
FSK: ab 0 Jahren
Verleih/Vertrieb: Walt Disney Germany
Kinostart: 22.06.2023

FILMKRITIK:

Schauplatz von „Elemental“ ist die kunterbunte, New York nachempfundene Metropole Element City, in der Feuer-, Wasser-, Luft- und Erdbewohner leben. Ein großer Austausch findet nicht statt. Die Gruppen bleiben unter sich. Denn Elemente vermischt man nicht, wie es mehrfach heißt. In eben diesen Großstadtdschungel gelangte vor einigen Jahren auch das aus Feuerland eingewanderte Ehepaar Bernie und Candice, das im quirligen Feuerviertel ein Lebensmittelgeschäft eröffnet. Tochter Ember (deutsche Stimme: Emilia Schüle) soll den Laden übernehmen, hat allerdings noch mit ihrem Temperament zu kämpfen. Jedes Mal, wenn die Kunden zu anstrengend und fordernd werden, entlädt sich ihre Wut in einer echten Explosion.

Ein solcher Ausbruch lässt eines Tages ein Rohr im Keller platzen und schwemmt mit dem Wassereinwohner Wade (deutsche Stimme: Jannis Niewöhner) ausgerechnet einen Mitarbeiter der Bauaufsicht ins Haus. Widerwillig, aber seinen Vorschriften Rechnung tragend stellt dieser einen Strafzettel aus, der zur baldigen Schließung des Supermarktes führen wird. Ember will jedoch den ganzen Stolz ihres Vaters retten, vor dem sie das Geschehene geheim hält. Hilfe bekommt sie nur wenig später von Wade, den ein schrecklich schlechtes Gewissen plagt. Beim Bemühen, das Ende des Ladens abzuwenden, kommen sich die beiden angeblich unvereinbaren Elemente langsam näher.

Was von Anfang an ins Auge sticht und – ehrlich gesagt – nicht wirklich überrascht, ist die Brillanz der Bilder. Schon mit der Ankunft der Feuerlandeinwanderer in Element City tut sich ein aufregendes, mit zahllosen verspielten Details gespicktes Panorama auf. Ein bisschen erinnert der Einstieg an den Animationsfilm „Zoomania“ von Walt Disney Pictures, in dem eine Hasenpolizistin staunend in ihr neues Zuhause, die von allerlei Tieren bewohnte titelgebende Metropole, eintaucht. Manchmal weiß man gar nicht, wohin man als Erstes schauen soll. So facettenreich und lebendig sind die visuellen Akzente, die Regisseur Peter Sohn („Arlo & Spot“) und seine Crew in „Elemental“ setzen. Technisch brillant werden vor allem die unterschiedlichen Eigenschaften der Elemente inszeniert, wobei nicht selten über optische Kniffe Humor einfließt. Lustig wird es zum Beispiel, als Wade etwas zu verdecken versucht, bei diesem Unterfangen aber „dank“ seines komplett transparenten Körpers auf verlorenem Posten steht.

Geht es allein nach der Animationsarbeit, ist die 27. Pixar-Produktion eine wahre Freude. Zu einem rundum gelungenen Film gehört allerdings auch eine Geschichte, die zu überraschen, zu bewegen und zum Nachdenken anzuregen weiß. Genau da gibt sich „Elemental“, aller Dynamik zum Trotz, einige Blöße. Einwanderererfahrungen, Vorurteile, Embers Schwanken zwischen Familientradition und Selbstverwirklichung, Identität, Toleranz – thematisch bieten Peter Sohn, dessen Eltern aus Korea in die USA kamen, und sein Drehbuchteam viele Aspekte auf, kriegen ihren Strauß an Ideen aber nie richtig zusammengebunden. Manche Wendepunkte, etwa der obligatorische Alles-droht-dahinzugehen-Moment kurz vor Beginn des dritten Aktes, und manche Sinnesumschwünge fühlen sich erzwungen an. Die sich entwickelnde Romanze läuft weitgehend vorhersehbar ab. In den Dialogen werden allerhand Phrasen ausgetauscht, nach dem Motto: „Gegensätze ziehen sich an!“ Und im Kern der Story stecken trotz progressiver Absichten klassisch-konservative Rollenbilder. Der Vater als Macher, als Unternehmer und die Mutter als übersinnlichen Dingen zugetaner Sidekick mit Gespür für die Gefühlsebene – eine solche Konstellation haben wir schon viel zu oft gesehen. Reißbretthaft wirkt nicht zuletzt die Gegenüberstellung von Embers Working-Class-Familie, die in einem wuseligen Viertel mit Chinatown-Charakter wohnt, und Wades privilegierter Wassersippe, die – im wahrsten Sinne des Wortes – im Luxus badet. Soziale Ungleichheit wird angeschnitten, ohne dass ihre Auswirkungen ernsthaft durchleuchtet würden. Auch in einem Film, der viele Kinder begeistern soll, kann man ruhig etwas mehr in die Tiefe gehen. Pixar hat es ja selbst noch 2020 mit dem unglaublich komplexen „Soul“ bewiesen.

 

Christopher Diekhaus