Erica Jong – Breaking the Wall

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Das biografische Doku-Porträt „Breaking the Wall“ betrachtet Leben und Wirken der New Yorkerin Erica Jong, die in den USA der 70er-Jahre zur feministischen Ikone aufstieg – mit einem Roman, der sich fast 37 Millionen Mal verkauft hat. Zum ersten Mal überhaupt rückte Belletristik die sexuelle Lust und erotischen Bedürfnisse der Frau in den Mittelpunkt. „Breaking the Wall“ beleuchtet mit Leichtigkeit und Esprit das ereignisreiche Leben der bekannten Autorin – und entlarvt eine schambehaftete US-Gesellschaft, die noch bis vor wenigen Jahrzehnten krampfhaft an verkrusteten Moralvorstellungen und antiquierten Rollenbildern festhielt.

Schweiz 2022
Regie: Kaspar Kasics
Drehbuch: Kaspar Kasics

Länge: 95 Minuten
Kinostart: 23. März 2023
Verleih: Rise and Shine Cinema

FILMKRITIK:

Mit ihrem literarischen Welterfolg „Fear of Flying“ (deutsch: Angst vorm Fliegen) landete die Erica Jong 1973 einen Welterfolg – und wurde mit Anfang 30 schlagartig berühmt. Mit ihrem autobiographisch beeinflussten Roman wurde sie aber vor allem zur feministischen Vorreiterin, die sich für die sexuelle Befreiung der Frauen einsetzte. In den folgenden Jahren war sie Stammgast in Talkshows, schloss Freundschaften mit literarischen Größen und erhielt verlockende (Drehbuch-)Angebote aus Hollywood. Doch Jong wurde für ihre Positionen auch angefeindet. Hinzu kam die lange Suche nach dem privaten Glück und die Last der Kindheit: das Verhältnis zur dominanten Mutter prägte Jong wie wenige andere Dinge.

Der Schweizer Kaspar Kasics porträtiert eine hochinteressante, eigenwillige Frau, deren Erstlingswerk die konservativ-rückständigen, prüden USA der frühen 70er-Jahre in ihren Grundfesten erschütterte. Über vierzig Jahre vor modernen feministischen Büchern wie „Untenrum frei“ und „Mehr Feminismus“ forderte Jong bereits in „Fear of Flying“ die weibliche Selbstermächtigung und den Mut, offen über (weibliche) Sexualität zu sprechen.

Sie schilderte den Kampf der Frauen um mehr Macht, Autonomie und um die Erfüllung der eigenen, intimsten Wünsche. Wie sich Jong zu jener Zeit sowie noch in den Jahren danach in aller Öffentlichkeit in US-Talkshows rechtfertigen und erklären musste, verdeutlichen die vielen Original-TV-Mitschnitte. Etwa aus den 70er- und mittleren 80er-Jahren. Wie sich die heute fast 81-Jährige im Wortduell mit dem dominanten, durch abschätzige Bemerkungen auffallenden Moderator wortgewandt und doch sympathisch-humorvoll behauptet, ist noch heute bemerkenswert mitanzusehen.

Raffiniert und feinsinnig versucht Kasics aufzuarbeiten und zu verstehen, wie aus der jüdisch-stämmigen, ehemaligen College-Dozentin die „Stimme des Feminismus“ werden konnte. Und was das Wesen dieser Frau ausmacht. Dafür beobachtet Kasics Jong und ihren vierten Ehemann in ihrem Alltag, dokumentiert den Besuch der Enkelkinder und ist bei Streifzügen durch die New Yorker Heimat und frühere Lebensstationen (u.a. Venedig) dabei. Es fällt auf, wie wichtig Jong das Unperfekte ist und wie viel Wert sie auf das Ehrliche und Authentische legt. Schlicht, auf das wahre Leben. Das zeigt sich in Momenten, in denen sie ihren Parkinson-erkrankten Mann regelrecht ins Bild zerrt und sie ihn damit als zentralen Teil ihres Lebens präsentiert. Oder wenn sie sich zu Hause in legerer Kleidung zeigt und im telefonischen Clinch mit einer Call-Center-Mitarbeiterin liegt. Alltags-Situationen im Hause Jong.

Mit beachtlicher Beiläufigkeit kommt man einer Frau nahe, die doch ihr ganzes Leben lang immer auch mit sich und der Welt haderte. Und mit ihren widerstreitenden, ambivalenten Empfindungen und Entscheidungen. In einer Art abgefilmten Zwiegespräch mit ihrer Schwester erfährt man mehr über all dies.

Darin hinterfragt Jong kritisch ihre Lebensentscheidungen und die daraus resultierenden Doppeldeutigkeiten und Spannungszustände. Wieso etwa sie, die große, für die Gleichberechtigung der Geschlechter und sexuelle Freiheit eintretende Literatin, die das Unterdrücken von Lust und Begehren als eines der gesellschaftlichen Hauptprobleme ausmachte, viermal den Bund der Ehe einging. Ganz klassisch und traditionell. „Unbewusst habe auch ich die Männer lange Zeit als Macher gesehen“, gesteht sie schließlich ein.

Etwas mehr hätte Kasics auf die anderen Bücher und Werke von Jong eingehen können. Jong ist nicht nur „Fear of Flying“, sind hat weit mehr Literatur publiziert, darunter ihre poetischen Arbeiten. Die inhaltliche Dominanz und Konzentration auf ihren frühen Welterfolg lassen aber keinen Raum für Jongs weitere Veröffentlichungen.

 

Björn Schneider