Ernesto’s Island

Zum Vergrößern klicken

Beim fiktiven Dokumentarfilm „This Ain’t California“ war er als Produzent beteiligt, zehn Jahre später versucht Ronjald Vietz als Regisseur und Co-Autor noch einmal ein Gefühl der Ostalgie zu beschwören und trauert der untergegangenen Zeit nach. Erstaunlicherweise existiert die Insel die „Ernesto’s Island“ den Titel gab tatsächlich, doch authentischer wirkt dieses Road Movie dadurch nicht.

Ernesto’s Island
Deutschland 2022
Regie: Ronald Vietz
Buch: Ronald Vietz & Ira Wedel
Darsteller: Max Riemelt, Oliver Bröcker, Ira Wedel, Mariam Durandona, Joachim Bosse, Angelo del Castillo

Länge: 115 Minuten
Verleih: Neue Heimat/ Barnsteiner
Kinostart: 18. Mai 2023

FILMKRITIK:

Matthias (Max Riemelt) lebt in Berlin, verdient bei einer Werbeagentur viel Geld, aber etwas fehlt. Der Tod seiner Mutter überrascht den nicht mehr ganz jungen Mann schwer, die Aufgabe den letzten Wunsch der ihm entfremdeten Mutter zu erfüllen und ihre Asche in Kuba zu verstreuen, überfordert ihn daher enorm.
Einfacher scheint es, die Asche in der Spree zu versenken, doch selbst daran scheiter Matthias kläglich, sein alter und ihm ebenfalls etwas entfremdeter Kumpel Sascha (Oliver Bröcker) ist keine Hilfe, erst die Aufforderung der Polizei, die Urne binnen zwei Wochen ordnungsgemäß zu entsorgen lässt Matthias aufhorchen und in den Flieger steigen.

In Kubas Hauptstadt Havanna verhält sich der wenig sympathische Matthias zwar wie ein typischer, alles besser wissender Tourist, dennoch hilft ihm die Kellnerin Sofia (Mariam Durandona) beim Versuch, eine kleine Insel vor der Küste der Karibikinsel zu erreichen. Die war einst vom Revolutionsführer Fidel Castro dem sozialistischen Bruder Ernst Honecker als Geschenk vermacht worden, und genau hier möchte die Mutter ihre letzte Ruhe finden.
Man mag es kaum glauben, aber die titelgebende Insel Honeckers existiert tatsächlich, auch wenn sie in Wirklichkeit Ernst-Thälmann-Insel heißt. Als unbewohntes, winziges Eiland liegt sie in militärischem Sperrgebiet und darf nicht betreten werden, erst recht nicht von Kubanern, die sich schon verdächtig machen, wenn sie einen Bootsausflug machen wollen. Keine Mauer, sondern das Meer hält die Kubaner mehr schlecht als recht in ihrem Land, dass sich nur sehr langsam entwickelt und auch nach dem Tod Fidel Castros noch am Traum vom Sozialismus festhält.

Parallelen zur untergegangenen DDR sind deutlich zu erkennen und könnten Ausgangspunkt zur interessanten Geschichte eines in der DDR geborenen Menschen sein, der sich in der Gegenwart einerseits im vereinten, kapitalistischen Deutschland sehr gut zurecht findet, andererseits eine gewisse Leere spürt. Ein klassischer Ausgangspunkt für ein Road Movie also, dem Genre der Selbstfindung schlechthin, das Reisen als Sinnsuche in den Mittelpunkt stellt, an deren Ende im besten Fall ein Moment der Selbsterkenntnis steht.
Leider machen Ronald Vietz und seine Co-Autorin Ira Wedel, die auch an „This Ain’t California“ mitgeschrieben hatte, wenig aus dieser vielversprechenden Ausgangssituation. Allzu schematisch muten die angedeuteten Gegensätze zwischen dem modernen Deutschland und dem scheinbar in der Vergangenheit feststeckenden Kuba an, allzu touristisch wirkt der Blick auf eine Insel, die viel zu oft als Ideal einer Möglichkeit des real existierenden Sozialismus verklärt wird.

Zudem hilft es wenig, dass die Hauptfigur Matthias betont unsympathisch agiert und seine einheimische Reisebegleiterin nur als Mittel zum Zweck wahrnimmt. Ähnlich wie in „This Ain’t California“ sollen grobkörnige, verwaschene und verwackelte Heim-Videos wie aus längst vergangener Zeit ein Gefühl der Nostalgie evozieren, an eine unbeschwerte Kindheit erinnern, in der das Leben leichter und einfacher schien und die Zukunft offen. Doch was damals trotz aller ethischen Probleme funktionierte, will hier nicht recht überzeugen. Viel mehr als Urlaubsbilder einer vermeintlichen Trauminsel zeigt „Ernesto’s Island“ nicht, die Selbstfindung der Hauptfigur bleibt Behauptung, auch wenn am Ende die Asche in der Karibik landet.

Michael Meyns