Evil Does Not Exist

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Um die zerstörerische Beziehung zwischen Mensch und Natur ging es schon in vielen Filmen. Nun macht sich der japanische Oscar-Preisträger Ryusuke Hamaguchi („Drive My Car“) daran, diesen Grundkonflikt des Menschseins erneut auszuloten. Er packt ihn in ein absichtsvoll inszeniertes, naturverbundenes Gesellschaftsdrama, in dem es um die Balance der gegensätzlichen Lebensstile und Lebensräume geht. Ein Film, der zum Nachdenken anregt und den Mut aufbringt, im Schlussakt bei weitem nicht alle Fragen zu beantworten.

Japan 2023
Regie: Ryusuke Hamaguchi
Buch: Ryusuke Hamaguchi
Darsteller: Hitoshi Omika, Ryo Nishikawa, Ryūji Kosaka,
Ayaka Shibutani
Länge: 106 Minuten
Verleih: Pandora Filmverleih
Kinostart: 18. April 2024

FILMKRITIK:

Takumi (Hitoshi Omika) und seine Tochter Hana (Ryo Nishikawa) leben in einem kleinen Dorf namens Mizubiki, das nicht weit von der japanischen Hauptstadt Tokio entfernt liegt. Ihr Leben ist einfach und eng mit der Natur verbunden. Sie genießen die Kargheit und Abgeschiedenheit ihres Alltags. Doch diese Idylle scheint bald ein Ende zu nehmen. Ein Unternehmen aus Tokio plant, eine Luxus-Campinganlage in der Nähe zu errichten. Das entschleunigte Leben der Dorfbewohner hätte damit ein Ende. Die Fronten sind verhärtet. In einem Versuch, die Situation zu entschärfen, schickt das Unternehmen zwei Agenturmitarbeiter nach Mizubiki. Doch anstatt einer Lösung nahezukommen, führt dies zu weiteren Spannungen –mit tiefgreifenden Folgen für alle Beteiligten.
Umwelt gegen Ökonomie. Um diese Auseinandersetzung geht es in Hamaguchis Werk, das auf dem letztjährigen Filmfest von Venedig acht Minuten lang Standing Ovations erhielt. „Evil Does Not Exist“ ist eine feinfühlig erzählte, ökologische Reise zu dem, was die Menschen in Mizubiki im Innersten antreibt und was sie erfüllt: sie existieren selbstbestimmt und unabhängig. Sie leben von dem, was der Wald ihnen gibt und was auf natürliche Weise vorhanden ist.
Als Zuschauer beobachtet man Takumi beim Wasserholen (aus dem nahegelegenen Fluss), Holz hacken, bei den ausgiebigen Wanderungen und auf Hirschjagd. Oft ist seine interessierte Tochter Hana mit dabei, der Takumi viel über die Wälder, Tiere und Bäume lehrt. Gerade jene Szenen im Wald haben etwas zutiefst Meditatives und zählen zu den stimmungsvollsten des Films. Verantwortlich dafür sind neben den ungewöhnlichen Blickwinkeln und Kameraperspektiven noch zwei andere Aspekte. Zum einen die authentische Soundkulisse und Klanglandschaft, vom Fließen des Baches über die knackenden Äste bis hin zum Vogelgezwitscher.
Zum anderen die wunderschöne, anrührende Filmmusik, komponiert von der japanischen Künstlerin Eiko Ishibashi. Ihre Klänge unterstreichen viele Szenen, nicht nur jene im Wald. Und meist hat man das Gefühl, dass ihre Musik maßgeblich und stellvertretend für die Stimmung des gesamten Films ist. Zu jener Naturverbundenheit und dem bereits angesprochenen Realismus kommt aber etwas hinzu, das den Frieden stört. Den Frieden und das ruhige Leben der Dorfbewohner. Das Eintreffen der beiden Firmenvertreter in Mizubiki ebenso wie die „Glamping“-Pläne ihres Arbeitgebers, symbolisieren das Eindringen des Menschen in die Natur. Stehen die Dörfler exemplarisch für ein naturbewusstes Dasein und die Liebe zur Umwelt, so geben die Firmenvertreter dem Kapitalismus und Gewinnstreben ein Gesicht.
Doch „Evil Does Not Exist“ gewährt jeder Seite letztlich eine faire Chance, um für ihre Position einzustehen und Argumente darzulegen. Ryusuke Hamaguchi ergreift keine Partei, auch wenn sein Standpunkt subtil und unterschwellig oft durchscheint. Und egal ob Dorfbewohner oder Städter: Hamaguchi entlockt seinen Schauspielern durch den reduzierten Einsatz von Dialogen durchweg und unablässig gelungene, wahrhaftige Leistungen.

Björn Schneider