Ex Libris – Die Public Library von New York

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88 Jahre ist Frederick Wiseman inzwischen alt und arbeitet immer weiter an seinen Dokumentarfilmen, in denen fast immer amerikanische Institutionen im Mittelpunkt stehen. In „Ex Libris - Die Public Library von New York“ ist das nicht einfach eine Bibliothek, sondern ein ganzer Kosmos von Orten des Lernens, des Miteinanders, des Zusammenhalts in Zeiten zunehmender sozialer Spannungen.

Webseite: www.koolfilm.de

Dokumentation
USA 2017
Regie: Frederick Wiseman
Länge: 197 Minuten
Verleih: Kool / Filmagentinnen
Kinostart: 24. Oktober 2018

FILMKRITIK:

Viele New York-Besucher kennen das markante Hauptgebäude der Public Library, dass sich im Herzen Manhattans befindet, an einem Park gelegen, eine große Treppe, gerahmt von zwei großen Löwen-Skulpturen, markiert den Eingang zu einer Welt des Wissens. Hier hat Frederick Wiseman viele Szenen seiner jüngsten Dokumentation gefilmt, doch dass sein Fokus nicht etwa auf den banalen Strukturen einer Bibliothek liegt - dem Erwerb, der Archivierung, dem Ausleihen von Büchern und anderen Medien - dürfte Kenner seiner Filme nicht überraschen.
 
Wiseman gilt als klassischer Vertreter eines inzwischen bedauerlicherweise nicht mehr oft gesehenen Zweig des dokumentarischen Kinos, der sich größter Zurückhaltung auflegt, der nur beobachtet, keine Szenen nachstellt, auf den Einsatz von Interviews, Musik und anderer Stilmittel verzichtet. Wochen- bzw. monatelang taucht Wiseman stets in eine Institution ein, sei es ein Krankenhaus, eine Schlachterei, Militäranlagen oder Museen, sammelt Material, lässt sich von seinem Gespür leiten und formt das Material dann zu seinen inzwischen meist sehr langen, selten unter drei Stunden langen Filmen.
 
Diese Länge fordert oft sehr viel Geduld, zumal Wiseman in den letzten Jahren, in Filmen über die liberale kalifornische Elite-Uni „At Berkeley“ oder über den New Yorker Stadtteil „In Jackson Heights“ seine Aufmerksamkeit zunehmend auf die Art und Weise richtete, wie diese Institutionen bzw. Stadtbezirke für und mit den Bürgern arbeiteten.
 
Stets hatten Wisemans Filme bei aller trotz offensiv zur Schau gestellten Objektivität, eine subjektive Note, ein soziales Anliegen, was sich schon bei seinem ersten Film, dem legendären „Titticut Follies“ zeigte, in dem er eine Irrenanstalt zeigte, ja, sezierte. Man kann nun davon ausgehen, dass es dem so genauen, bewussten Beobachter Wiseman in den letzten Jahren zunehmend unwohl angesichts mancher Entwicklungen seiner Heimat geworden ist: Die zunehmenden Grabenkämpfe im politischen Wesen, die wieder stärker werdende soziale Kälte, zunehmend ruppigerer Umgangsformen, Entwicklungen, die durch die Wahl Trumps noch beschleunigt wurden und werden.
 
Die Institutionen die Wiseman in seinen letzten Filmen und auch in diesem Film beschreibt, können problemlos als Anti-Muster zu diesen Entwicklungen beschrieben werden. Als Orte, an denen oft schlecht bezahlte Angestellte oder Freiwillige sich darum bemühen, die Gräben nicht größer werden zu lassen, die Schere zwischen Arm und Reich nicht dazu führen zu lassen, dass sozial Schwache von Bildung und Wissen, von Interaktion und Sozialleben ausgeschlossen sind.
 
In zahlreichen der 92 Dependancen der Bibliothek, die über die fünf New Yorker Stadtteile verteilt sind, hat Wiseman gefilmt, bei Kursen zur Internetnutzung, Diskussionen mit so prominenten Gästen wie Patti Smith oder Ta-Nehisi Coates, beim Forschen in Akten und vielem mehr. Einen breiteren Kosmos der Bildung und des Wissens, vor allem aber des sozialen Miteinanders beschreibt er im Laufe von drei Stunden, ein Symbol für ein anderes Amerika, ein Amerika, dass zwar manchmal ein wenig bürokratisch und träge abläuft, aber die Basis für eine andere Zukunft zu legen verspricht, als es den meisten Politikern des Landes scheinbar wichtig ist.
 
Michael Meyns