Ezra – Eine Familiengeschichte

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Wer an autistische Filmfiguren denkt, dürfte als Erstes Dustin Hoffmans Raymond Babbitt aus Barry Levinsons „Rain Man“ (1988) im Kopf haben. Für seine Performance wurde der ohne eine Autismus-Spektrum-Störung (ASS) lebende US-Mime gefeiert und mit Preisen, darunter einem Oscar, überschüttet. Heute, mehr als 35 Jahre später, sind wir so weit, dass Rollen wie diese immer öfters auch von tatsächlich betroffenen Schauspielern übernommen werden. Ein Beispiel ist die Tragikomödie „Ezra – Eine Familiengeschichte“, die gleich in mehrfacher Hinsicht auf persönlichen Erfahrungen basiert. Drehbuchautor Tony Spiridakis konnte in seinem Skript auf Erlebnisse mit seinem autistischen Sohn zurückgreifen. William A. Fitzgerald, einer der beiden Hauptdarsteller, befindet sich im Spektrum. Und auch der in einer Nebenrolle auftauchende Robert De Niro hat ein autistisches Kind. Keine Frage, die Macher sind um Authentizität bemüht. Das Thema ist ihnen wichtig. Am Ende setzen sie dem Publikum aber dennoch einige Vereinfachungen und platte Story-Volten vor.

Originaltitel: Ezra
USA 2024
Regie: Tony Goldwyn
Drehbuch: Tony Spiridakis
Cast: Bobby Cannavale, William A. Fitzgerald, Rose Byrne, Robert De Niro, Vera Farmiga, Whoopi Goldberg, Rainn Wilson, Tony Goldwyn u. a.
Länge: 101 Minuten
FSK: ab 6 Jahren
Verleih/Vertrieb: Tobis
Website: https://tobis.de/titel/ezra-eine-familiengeschichte
Kinostart: 12. September 2024

FILMKRITIK:

Früher hat Max (Bobby Cannavale) andere Komiker mit seinen Gags versorgt. Inzwischen kämpft er mit einem eigenen Stand-up-Programm um Anerkennung. Bislang mehr schlecht als recht. Privat läuft es nicht viel besser. Seiner Ex-Frau Jenna (Rose Byrne) trauert er noch immer etwas nach. Und selten sind sich die beiden einig, wenn es um ihren autistischen Sohn Ezra (William A. Fitzgerald) geht. Als dieser nach einem Unfall wegen selbstgefährdender Tendenzen mit starken Medikamenten behandelt werden soll, verliert der ohnehin recht aufbrausende Max die Nerven und geht dem Arzt an den Kragen. Die bittere Konsequenz seines Ausbruchs: Drei Monate lang darf er sich Ezra nicht nähern. Weil Max der festen Überzeugung ist, dass sein Sohn in seiner neuen Förderschule leidet, schnappt er sich trotzdem kurzerhand das Auto seines Vaters Stan (Robert De Niro) und nimmt mit dem Elfjährigen Reißaus.

Es ist ein Klassiker. Figuren, die mit sich und ihrer Umwelt nicht im Reinen sind, begeben sich auf eine Reise und gelangen dort zu wichtigen Selbsterkenntnissen. Diesem Motto fühlt sich auch „Ezra – Eine Familiengeschichte“ verpflichtet. Der Titel führt etwas in die Irre. Weniger das Kind steht hier im Mittelpunkt als der Hallodri Max, der Ordnung in sein chaotisches Leben bringen und seine Einstellung zu seinem Sohn überdenken muss. Bobby Cannavale ist für den Part wie gemacht, füllt ihn mit großem Eifer aus und liefert sich ein überzeugendes Zusammenspiel mit Newcomer William A. Fitzgerald. Die Rolle des grumpy old man scheint Altstar Robert De Niro mittlerweile abonniert zu haben, agiert dementsprechend routiniert.

In seinen besten Momenten zeigt der Film, was es bedeutet, wenn einem Menschen der soziale Austausch große Schwierigkeiten bereitet. Ebenso präsent ist der Blick auf die Angehörigen einer Person im Autismus-Spektrum, ihre alltäglichen Herausforderungen und die wegweisenden Entscheidungen, die es zu treffen gilt. Leider lassen sich Regisseur Goldwyn und Drehbautor Spiridakis, die privat befreundet sind, aber auch dazu hinreißen, Dinge arg plakativ auszumalen. Jennas Verhalten beispielsweise darf Stan ständig kritisieren. Dabei ist es nur zu verständlich, dass sie in ihrer Verzweiflung die Polizei informiert. Demgegenüber irritiert es, wie nonchalant das tragikomische Roadmovie über die Entführung hinweggeht. Max handelt hochgradig unverantwortlich und egoistisch, setzt Ezra potenziellen Gefahren aus. Über dem Ganzen steht aber der Slogan „Er meint es doch nur gut!“ Ein bisschen kritischer hätte es dann schon werden dürfen.

Dass die zumeist guten Schauspielleistungen nicht voll zur Geltung kommen, der Film immer mal wieder an Ausdruckskraft einbüßt, hängt vor allem mit dem Aufbau der Handlung zusammen. Manche Schlenker sind krampfhaft auf lustig getrimmt, unter anderem Jennas und Stans Besuch bei Max‘ altem Kumpel Nick (Rainn Wilson). Andere Schritte auf dem Weg zum Finale wiederum werden so lieblos durchgezogen, dass die beabsichtige Wirkung fast komplett verpufft. Zu nennen ist hier die Aussprache zwischen Max und seinem ähnlich jähzornigen Vater, deren verkorkste Beziehung „Ezra – Eine Familiengeschichte“ nebenher thematisiert. Bei allen guten Absichten, die die Beteiligten sicherlich verfolgen, bleibt doch ein zwiespältiger Gesamteindruck zurück.

Christopher Diekhaus