Face_It!

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Wem gehört unser Gesicht? Diese Frage, die bis vor kurzem noch eindeutig zu beantworten war, ist roter Faden von Gerd Conradts Dokumentation „Face_It!“, die einen vorsichtigen Blick in eine Zukunft wagt, in der Gesichtserkennung Alltag geworden sein wird. Verschiedene Theoretiker und Politiker kommen zu Wort, die das Thema vorsichtig und differenziert umkreisen.

Webseite: www.missingfilms.de

Dokumentation
Deutschland 2019
Regie: Gerd Conradt
Buch: Gerd Conradt & Daniela Schulz
Länge: 80 Minuten
Verleih: missingFILMs
Kinostart: 25. Juli 2019

FILMKRITIK:

Ein Pilotprojekt zur Gesichtserkennung am Berliner Bahnhof Südkreuz war der Ausgangspunkt für Gerd Conradts Beschäftigung mit dem Thema. Eine Forschungsgruppe hat hier Gerätschaften installiert mit denen die freiwilligen Teilnehmer des Experiments, beim hinuntergehen einer langen Treppe gefilmt und mittels modernster Technik identifiziert werden. Bewegungsprofile lassen sich so erstellen, die mit zunehmender Verbreitung der Technik, in Kombination mit der - oft freiwilligen - Bereitstellung von allen möglichen Daten im Internet, immer bessere Vorhersagen über Wege und Bedürfnisse jedes einzelnen Menschen machen lassen.
 
Vom sprichwörtlichen Big Brother ist bei solchen Szenarien schnell die Rede, vom Überwachungsstart und dem Verlust von Freiheit. Doch ist das wirklich so? Und geben wir online nicht ohnehin ein Maß an Information über uns preis, das vor Jahren unvorstellbar erschien? Es ist die größte Stärke von Gerd Conradts Film, dass er sein Thema nicht alarmistisch und hysterisch angeht, sondern umsichtig und differenziert.
 
Weder rückwärtsgewandte Kassandrarufer, die die Uhr am liebsten ganz weit zurückdrehen würden, noch begeisterte Vorreiter, die gar nicht schnell genug auch noch den letzten Aspekt ihrer Privatheit aufgeben wollen kommen zu Wort. Stattdessen Menschen, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem Thema beschäftigen, Vorteile der neuen Entwicklung sehen, ohne mögliche Probleme auszublenden und umgekehrt.
 
Zu ihnen gehört schon von Amts wegen Dorothe Bär, die Staatsministerin für Digitalisierung - ja, so etwas gibt es tatsächlich - die grundsätzlich eine technikaffine Position vertritt. Wer mag auch die Vorteile bestreiten, wenn man am Flughafen dank elektronisch lesbarer Reisepässe in Kombination mit zunehmend schnellerer Gesichtserkennung, nicht mehr endlos lange in langsamen Schlangen stehen muss. Doch zahlen der Einzelne und die Gesellschaft als Ganzes für solche (kleinen) Vorzüge, nicht einen zu hohen Preis?
 
Dass das zunehmende Sammeln von Daten, die Möglichkeit der Vernetzung, auch das Potential zum Missbrauch hat, mag niemand bestreiten. Dass es einem Staat grundsätzlich möglich wäre, die gesammelten Daten auch zur zunehmenden Kontrolle der Bürger zu verwenden, liegt auf der Hand. Die Frage ist also ob technische Entwicklungen wegen der theoretischen Möglichkeit des Missbrauchs schon im Vorfeld eingeschränkt werden sollten.
 
Der österreichische Künstler und Kurator Peter Weibel ist da vorsichtig. Als Leiter des ZKM, des Zentrums für Kunst und Medien in Karlsruhe, beschäftigt er sich von Berufswegen mit den Möglichkeiten, dem Potenzial und den Gefahren der Technologie und lässt Medienwissenschaftler und Künstler forschen und spekulieren.
 
Sie alle und mehr lässt Conradt in kaum 80 Minuten zu Wort kommen, unterbrochen von eigenen Überlegungen des Regisseurs, der seit den 60er Jahren Filme macht, die bewusst und im besten Sinne politisch sind. Früher bedeutete das Filme über die Linke, ihre Ziele und auch Abwege in die Radikalität zu machen. Bei „Face_It!“ bedeutet es, sich mit einer schleichenden Entwicklung zu beschäftigen, die alle Menschen, unabhängig von Herkunft, Ethnie oder politischer Ausrichtung betrifft, auch wenn viele sie kaum wahrnehmen. Mit seinem Film macht Conradt sichtbar, was immer noch zu unsichtbar ist.
 
Michael Meyns