Fado – Die Stimmen von Lissabon

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Die besten Dokumentationen erlauben dem Zuschauer einen Blick auf eine Form von Leben, die er nicht kennt. Auf eine andere Kultur, auf das was uns als Menschen verbindet. Und was könnte mehr verbinden, als Musik? In Lissabon ist es der überall zu hörende Fado, eine Art von Volksmusik, die von der Vergangenheit erzählt und in die Zukunft führt, die eine gemeinsame Sprache darstellt, vom Leben handelt und auch von den Veränderungen kundet, die mit der Gentrifizierung in Lissabon einhergehen.

Webseite: https://arsenalfilm.de/fado/index.htm

Silêncio - Vozes de Lisboa
Portugal 2020
Regie + Buch: Judit Kalmár und Céline Coste Carlisle
Darsteller: Ivone Diaz, Marta Miranda, Pablo (J-Marc Dercle), Luís Guimarães, Carlos Dias Torres, João Sacramento, Luís Paiva

Länge: 86 Minuten
Verleih: Arsenal Filmverleih
Kinostart: 8. September 2022

FILMKRITIK:

Als die Filmemacherinnen erstmals Lissabon besuchten, beeindruckte sie vor allem die Musik, die in allen Geschäften, in den Cafés und auf den Straßen zu hören war. Es ist der Fado, ein traditioneller Musikstil, von dem Ivone Diaz erzählt, dass er ihrer aller Vergangenheit abbildet. Denn der Fado ist wie eine gemeinsame Sprache, die vom täglichen Lebenskampf erzählt, aber auch von den Veränderungen. Denn während der Fado früher überall zu hören war, trifft man ihn nun seltener an. Das hat mit dem entfesselten Wohnungsmarkt in der Alfama Lissabons zu tun. Dieses ursprüngliche Altstadtviertel der portugiesischen Hauptstadt verändert sich rasant. Menschen ziehen weg, die neuen Nachbarn kennt man nicht mehr, die Gemeinschaft zerbricht.

In ihrem Film befassen sich Judit Kalmár und Céline Coste Carlisle mit diesen Veränderungen, die längst nicht nur in Lissabon, sondern überall auf der Welt stattfinden. Das macht den Film auch zu einer universellen Erzählung, die praktisch überall auf fruchtbaren Boden trifft. Weil sie vom Wunsch kündet, an etwas festzuhalten, das einst das Leben bereicherte. Ein Gefühl von Gemeinschaft, das immer öfter einer absoluten Anonymität weichen muss. Dem versuchen sich Ivone Diaz und Marta Miranda entgegenzustellen. Sie sind zwei Künstlerinnern unterschiedlicher Generation, die für das Überleben dieser Nachbarschaft, aber auch ihrer Kunst kämpfen.

Denn wenn die Alfama aufhört, das Altstadtviertel zu sein, das sie einst war, schwindet auch der Klang von Fado-Liedern, der für eine ganz eigene Stimmung sorgt. Diese überträgt sich auch auf den Zuschauer, weil „Fado – Die Stimmen von Lissabon“ auch über diese Musik erzählt wird. Manchmal ist sie lebensbejahend, manchmal wehklagend, aber immer voller Gefühl. Dieses droht, zu verschwinden – aus Alfama könnte ein weiter Ort der Reichen werden, während jene Menschen, die das Viertel erst so lebenswert machten verschwinden.

Das lässt diesen Dokumentarfilm wichtig werden, weil seine Geschichte exemplarisch ist. Das Alte muss dem Neuen weichen, aber das Neue hat selten den Charme des Alten. Indem Menschen in die Alfama strömen und dort wohnen wollen, zerstören sie genau das, was dieses Viertel ausgemacht hat. Einen Lösungsansatz bietet auch dieser Film nicht, seine Musik bedauert nur, was geschieht.

 

Peter Osteried