Familie zu vermieten

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Für die Französischen Filmtage in Tübingen und Stuttgart war „Familie zu vermieten“ im Herbst 2015 der ideale Eröffnungsfilm: eine leichte und flotte Komödie mit einer originellen Ausgangssituation, einer vergnüglichen Entwicklung nebst einer Prise „Amour“, guten Schauspielern und sich an den sozialen Unterschieden der Protagonisten entzündenden Dialogen. Und das alles nur, weil eine alleinerziehende Mutter ihren Kindern ein Tiefkühlhühnchen klaut und ein einsamer reicher und depressiver Single Mitleid bekommt...

Webseite: www.studiocanal.de

OT: Une famille à louer
Frankreich/Belgien 2014
Regie: Jean-Piere Améris
Darsteller: Benoît Poelvoorde, Virginie Efira, Francois Morel, Philippe Rebbot, Pauline Serieys, Calixte Broisin-Doutaz, Edith Scob, Nancy Tate
96 Minuten
Verleih: Studiocanal
Kinostart: 24.3.2016
 

FILMKRITIK:

Schick und gutaussehend ist sie, sexy – und obendrein auch ein wenig durchgeknallt und dreist. Weil sie im Supermarkt ein tiefgefrorenes Hühnchen mitgehen lässt, dem sie dabei ertappenden Wachmann eine Tracht Prügel verpasst, in einer perfekten Inszenierung aber auch über mangelndes Familienglück lamentiert, droht der energischen Violette (Virginie Efira) nun der Entzug ihrer Kinder durch das Sozialamt. Der eher lebensunlustige und depressive Unternehmer Paul-André (Benoît Poelvoorde) bekommt das Drama über die Fernsehberichterstattung mit und offeriert der in Not geratenen Mutter, sie und ihre Familie zu unterstützen, ihre Schulden zu bezahlen, für sie zu sorgen. Ein Dreimonatsvertrag wird ausgehandelt. Drei Monate, in denen der reiche Mann sich praktisch eine Familie mietet. Die immer wieder von alleine aufschnappende Kühlschranktüre in ihrer Wohnung ist nicht die einzige Besonderheit, an die sich der mitunter manische Pedant in den nun folgenden turbulenten Wochen wird gewöhnen müssen.
 
Jean-Pierre Améris, der im Vorjahr bei den Französischen Filmtagen sein Drama „Marie Heurtin – Mit der Sprache des Herzens“ über eine Nonne und ein ihr anvertrautes taubstummes und blindes Mädchen vorgestellt hatte und damals mit dem Verleihförderpreis von dannen zog, gefiel die Ausgangssituation, eine Komödie über das Familienglück zu drehen. „Hat man keine Familie, kann einen das traurig stimmen. Hat man eine, bringt das oft Schwierigkeiten mit sich“, stimmte er das Premierenpublikum in Tübingen wie auch Stuttgart ein.
 
Mangelt es der Frau in seinem Film am Geld, fehlt dem Mann die Familie. Dass beide von ihrem familiären Hintergrund, von ihrer gesellschaftlichen und sozialen Verwurzelung, ihrem Temperament und ihren Idealen gegensätzlich aufgestellt sind, daraus zieht die Komödie ihren Saft. Améris Kunst besteht darin, diese Gegensätze nicht als Klischees darzustellen, auch wenn die beiden erwachsenen Figuren haarscharf daran vorbeischrammen, zur Karikatur ihrer selbst zu werden. Hier kommt das Fingerspitzengefühl der beiden Darsteller zum Tragen: Benoît Poelvoorde, der zuletzt als zorniger Gottvater von Brüssel aus die Entstehung eines „brandneuen Testaments“ mit ansehen musste, schlüpft erneut in eine Rolle, die aufgrund des Geldes zwar Macht besitzt, sich aber an nichts zu erfreuen weiss. Seine graue Welt steht dabei in absolutem Gegensatz zur Lebensfreude und dem Lebenshunger von Violette und ihren aufgeweckten und nicht auf den Mund gefallenen Kindern.
 
Nachdem man den Belgier Benoît Poelvoorde ja schon seit längerem als oft neurotischen Griesfram in Kinofilmen erleben durfte, sollte man auch auf dessen Landsfrau Virginie Efira ein Auge haben. Bei den Französischen Filmtagen war sie auch noch in „Le goût des merveilles“ zu sehen, der in Tübingen wie Stuttgart den Publikumpreis erhielt und durch den Verleihförderpreis weiteren Rückenwind erhalten dürfte. Als „Birnenkuchen mit Lavendel“ kommt er im März 2016 in deutsche Kinos.
 
Interessant an „Familie zu vermieten“ freilich ist, wie Jean-Pierre Améris es schafft, die gegensätzlichen Hauptfiguren dann doch noch so aufzubrechen, dass sie sich besser aufeinander zubewegen können. Ob das nun glaubhaft ist oder nicht, darüber zu debattieren mag müßig sein. Améris jedenfalls ist eine spritzige leichte Komödie mit einer erfrischenden Geschichte, gelungenen Pointen, guten Darstellern und übers Eck gedacht auch sozialpolitischen Anmerkungen gelungen. Es sind vor allem die Gegensätze, aus denen dieser charmante Film Kapital schlägt.
 
Thomas Volkmann