Farewell Halong

Zum Vergrößern klicken

Die malerische Halong-Bucht in Nordvietnam steht im Rang eines Weltkulturerbes der UNESCO und zieht Reisende aus aller Welt an. Bis 2014 lebten dort noch Menschen in einem schwimmenden Dorf auf Hausflößen. Die Zwangsumsiedlung der Anwohner*innen begleitet der Filmemacher Duc Ngo Ngoc in seiner dokumentarischen Bestandsaufnahme „Farewell Halong“. Sein besonnenes Langfilmdebüt lief beim Max-Ophüls-Preis 2018 und erhielt auf dem Filmfestival Cottbus den DIALOG-Preis für die Verständigung zwischen den Kulturen.

Webseite: 42film.de

Vietnam, Deutschland 2017
Regie & Drehbuch: Duc Ngo Ngoc
Laufzeit: 98 Min.
Verleih: 42Film
Kinostart: 19. April 2018

FILMKRITIK:

Auf einer Reise in sein Geburtsland Vietnam traf der 1988 in Hanoi geborene und seit 1993 in Deutschland lebende Duc Ngo Ngoc eine 80-jährige Vietnamesin, die nur dreimal in ihrem Leben das Festland betreten hatte. Die Frau lebte in einem schwimmenden Dorf, bestehend aus kargen Holzhütten, die auf Flößen im Wasser treiben. Als der Regisseur erfuhr, dass ein solches Dorf aus der nordvietnamesischen Halong-Bucht ab Mai 2014 von der Regierung zwangsgeräumt werden soll, war die Idee für seinen Dokumentarfilm geboren. Wie gehen die Menschen mit der Umsiedlung um, wie kommen sie mit dem Festlandleben klar?
 
Der persönliche Background verweist auf die unverstellte Nähe, die Duc Ngo Ngoc zu seinen Protagonisten aufbaut. Ab 2013 reiste der Dokumentarist mehrfach nach Vietnam, um den Umsiedlungsprozess zu begleiten. In schnörkellosen Bildern dokumentiert er den Alltag der Familie Nguyen, bestehend aus Coung und seiner Frau Luu, beide Mitte vierzig, und dem 14-jährigen Sohn Qui. Die Beobachtung scheidet sich klar in das Davor und das Danach, in Eindrücke vom traditionellen Leben auf dem Wasser und dem anschließenden Landdasein.
 
Dass beide Teile unkommentiert nebeneinanderstehen, eröffnet dem Publikum die Möglichkeit, den Vorgang selbst zu bewerten. Zwar findet die Umsiedlung unter Zwang statt, um die Halong-Bucht für den Tourismus freizumachen und die Vermüllung des Gewässers einzuschränken, doch andererseits kommt man kaum umhin, den Umzug in ein Neubaugebiet auch als Upgrade zu begreifen. Die Floßbewohner*innen erhalten ein Entschädigungsgeld und ein Haus, das auf den ersten Blick mehr hermacht als die im Wasser treibenden Holzhütten. Im schwimmenden Dorf hielten sich die Menschen mit Fischzucht, als Touristenführer oder Snackverkäuferin notdürftig über Wasser. Auf dem Land könnten sie neu anfangen, was im vorliegenden Fall jedoch scheitert. Nguyen Coung findet keinen Job und verfällt dem Alkoholismus, seine Frau Luu badet es aus. Eine Texttafel weißt vor dem Abspann darauf hin, dass die Nguyens inzwischen wieder auf dem Meer leben. Nicht zuletzt ist „Farewell Halong“ ein Armutsporträt, das keine große Betroffenheit erzeugen will, sondern die Lage nüchtern festhält.
 
Mit der unaufgeregten Machart schafft Duc Ngo Ngoc das Fundament für weitere Reflexionen. Die imposante Naturkulisse rückt der Filmemacher ebenso wenig in den Vordergrund wie sein eigenes Engagement. Ihm geht es klar um die Menschen, die ihm augenscheinlich viel Vertrauen entgegenbringen. So erzählt Luu vom schmerzlichen Verlust ihrer Tochter, die als 5-Jährige im Meer ertrunken ist, und berichtet ebenso offen von ihren Zukunftsängsten und Geldsorgen wie ihr Mann Coung, der sich bei seiner Arbeit als Bootsführer oder zum Karaoke begleiten lässt. So entstehen unmittelbare Eindrücke, die in manchen Passagen leider etwas schleppend montiert wurden.
 
Das Politische sucht und findet Duc Ngo Ngoc im Privaten. Neben kleinen Beobachtungen wie jener, dass Luu während einer Autofahrt übel wird (als Entsprechung zur Seekrankheit), stehen symbolträchtige Aufnahmen von der Verschrottung der Floßhäuser und deren Nachbauten, die als Touristenattraktion in der Halong-Bucht schwimmen. Vom Publikum fordert Duc Ngo Ngoc eine eigenständige Einordnung des Gezeigten: „Farewell Halong“ hat einen klaren Meinungsbildungsauftrag.
 
Christian Horn