Félicité

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Was anfangs noch wie eine harsche Sozialstudie wirkt, entwickelt sich bald zu einem impressionistischen, fast surrealen Blick auf das Leben in Kinshasa, dem Herz der Demokratischen Republik Kongo, in der sich viele der Themen und Missstände Afrikas finden lassen. Hier spielt Alain Gomis „Félicité“, der bei der Berlinale mit dem Jury-Preis ausgezeichnet wurde.

Webseite: grandfilm.de/felicite/

Senegal/Kongo/Frankreich/Deutschland 2017
Regie: Alain Gomis
Buch: Alain Gomis, Delphine Zingg, Olivier Loustau
Darsteller: Véro Tshanda Beya, Papi Mpaka, Gaetan Claudia, Nadine Ndebo, Muambuyi, Leon Makola, Sylvie Kandala, Modero Totokani, Bavon Diana
Länge: 124 Minuten
Verleih: Grandfilm
Kinostart: 5. Oktober 2017

FILMKRITIK:

Félicité (Véro Tshanda Beya) heißt sie, doch Glück strahlt die Sängerin selten aus. Auf einer behelfsmäßigen Bühne singt sie allabendlich für die Besucher einer Bar, erwehrt sich mühselig der Avancen der zunehmend betrunkenen Gäste und versucht, ein selbst bestimmtes Leben zu führen. Doch der Lohn ist karg, wie so viele Bewohner am Rand von Kinshasa lebt auch Félicité von der Hand in den Mund, Rücklagen kann sie keine bilden, schon die Reparatur des defekten Kühlschrank stellt sie vor finanzielle Schwierigkeiten.
 
Als dann auch noch ihr 14jähriger Sohn Samo (Gaetan Claudia) nach einem Motorradunfall schwer verletzt im Krankenhaus liegt, beginnt Félicités fragile Realität zu zerbrechen. Ein funktionierendes Gesundheitssystem gibt es nicht, vor der dringend benötigten Operation ist Vorkasse nötig und so beginnt Félicité mit allen Mitteln, Geld aufzutreiben. Immer verzweifelter wird sie dabei, lässt jeglichen Stolz fahren, treibt mit der Hilfe eines (natürlich ebenfalls korrupten) Polizisten, Schulden ein, sucht den Vater ihres Sohns auf, der ihr gleich ihren Wunsch nach Unabhängigkeit vorhält, und bettelt am Ende gar einen reichen Mann um Geld an.
 
Doch es hilft alle nicht, das Geld kommt zu spät, Samo verliert ein Bein und Félicité driftet zunehmend in eine Traumwelt ab. Ziellos, fast apathisch streift sie durch die Stadt, enttäuscht vom Leben, ohne Mut. Allein Tabu (Papi Mpaki) ist für sie da, ein Mechaniker, der Félicité seit langem begehrt und sich mit seiner Hartnäckigkeit zu einem Fels entwickelt.
 
Wie eine afrikanische Version eines Films der Dardenne-Brüder wirkt „Félicité“ eine ganze Weile, wenn Regisseur und Co-Autor Alain Gomis seine Hauptfigur bei ihren Wegen durch Kinshasa beobachtet, ihr mit der Handkamera auf den Fersen ist, sie beim schmerzhaften Versuch, Geld aufzutreiben, unerbittlich filmt. Doch schon in dieser ersten Stunde wird dieser Realismus mit impressionistischeren Szenen durchbrochen, langen Aufnahmen von Félicités Auftritten, bei dem sie mitreißende Afro-Beats spielt, die wiederum mit Szenen des Sinfonieorchesters von Kinshasa kontrastiert werden. Etwas unmotiviert wirken diese Szenen zwar eingefügt, erfüllen aber doch ihren Zweck, die unterschiedlichen Welten Kinshasas anzudeuten: Hier die Neubauviertel, die Welt der Neureichen bei denen man davon ausgehen kann, dass sie oft nicht auf ganz koscherem Weg zu Geld gekommen sind, dort die baufälligen Hütten der Vororte, ungepflasterte, staubige Straßen, schlecht beleuchtet und unsicher.
 
Doch moralische Urteile fällt Gomis nicht, er zeigt das Leben, die unterschiedlichen Leben, in Kinshasa mit neutralem Blick, erzählt von einer Frau, die ihren Stolz aufgeben muss, um zu überleben, die Kompromisse machen muss, sich vielleicht auch an die von Männern und männlicher Attitüde geprägten Wertvorstellungen anpassen muss, um akzeptiert zu werden. Auch wenn sich am Ende eine neue Familie zu bilden scheint: Wirkliches Glück wird hier nicht angedeutet, dafür ist das Leben in Kinshasa, so wie es in „Félicité“ gezeigt wird, zu flüchtig und unbestimmt.
 
Michael Meyns