Fleisch ist mein Gemüse

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Hamburg-Harburg, gegen Mitte der 80er Jahre. Der junge Heinz Strunk hat schlimme Akne, eine nervenkranke Mutter und seine Nachbarin ist dick und depressiv. Statt wie erträumt als Musikproduzent zu arbeiten, schlägt er sich als als Saxophonist der Mucker-Kapelle "Tiffanys" durch. Basierend auf Strunks weitgehend autobiografischen Bestseller schafft die Verfilmung den Geist der Vorlage einzufangen und glänzt durch eine hervorragende Besetzung und wahrhaft komische Sequenzen, in denen der Protagonist selbst so gar nichts zu lachen hat.

Webseite: www.fleischistmeingemuese.de

Deutschland 2008
Regie und Drehbuch: Christian Görlitz nach dem gleichnamigen Roman von Heinz Strunk.
Mit Maxim Mehmet, Andreas Schmidt, Oliver Bröcker, Susanne Lothar, Livia S. Reinhard, Jona Mues, Martin Brauer, Susanne Bormann, Anna Fischer, Rocko Schamoni, Heinz Strunk u.a.
Länge: 120 Min. - ab 12 Jahren
Verleih: Universal
Kinostart: 17.4.2008

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Komik ist Wahrheit und Schmerz. Oder einfacher: Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Leider wird diese Weisheit zumeist wenig ernst genommen. Genügend Beweise dafür finden sich im Comedy-Fun-Unsinn, den die Medien hierzulande hervorbringen. Dass es auch anders geht, hat Heinz Strunk (nicht nur) mit seinem Roman „Fleisch ist mein Gemüse“ gezeigt. Hier kommt die Komik aus der Wahrhaftigkeit des Tragischen und steht damit in bester Tradition von Loriot, Heinz Erhard und Helge Schneider.

Die Verfilmung entpuppt sich als eine Mischung aus Coming-of-age-Geschichte und  Heimatfilm. „Coming of age“ deshalb, weil es hier um jemanden geht, der sich trotz oder gerade wegen aller Widrigkeiten weiterentwickelt, und Heimatfilm, weil es um das Leben in der kleinbürgerlichen Welt von Hamburg-Harburg und den Schützenfesten im Umland geht. Letztere ist das Zuhause der „Tiffanys“, einer Kapelle, die „abliefert“. Das heißt, dass sie ihr Schlagerrepertoire in verrauchten Dorfgasthöfen vor betrunkenen Gästen zum Besten geben. Für Gage und eine warme Bockwurst mit Püree wird dort zum Tanz aufgespielt. Und Heinz ist der neue Saxophonist und Flötist der rumpelnden Kombo. Frontmann Gurki unterhält die alkoholisierten Gäste mit unsäglichen Sprüchen und Heinzer, wie er bald genannt wird, macht gute Miene zum bösen Spiel, schließlich braucht er wie die anderen das Geld. Nebenbei kümmert er sich um die kranke Mutter, hängt mit seiner depressiven Nachbarin Rosi herum und geifert erfolglos den Frauen hinterher. Heinz' Versuche als Musikproduzent sind alles andere als von Erfolg geprägt, doch da tritt die begabte Jette in sein Leben und das Blatt scheint sich zum Positiven zu wenden...

Nach Hörspiel- und Musicalversion erfreut nun auch die Verfilmung durch einen eigenen Ansatz und gibt sich sowohl formal als auch inhaltlich wie ein Bilderbuch zur Vorlage. Der für seine Fernseharbeiten Grimme-Preis gekürte Regisseur und Drehbuchautor Christian Görlitz inszeniert das Ganze als eine Reihe von Kabinettstücken, die von Strunk selbst in einer Art Kabinett im Zwiegespräch mit dem Hirsch, der schon das Buchcover zierte, kommentiert werden. Ein eigenwilliger Kunstgriff, der als Verbindungselement dient und  am Schluss für gute Laune sorgt, gerade bei denjenigen, die das Buch vorher gelesen haben. Das lässt den filmischen Erzählfluss zwar manchmal rumpeln, wie die Auftritte der „Tiffanys“, wird der Sache im Sinne einer Adaption aber durchaus gerecht, denn mit Comedy hat das alles nix zu tun und gerade deswegen ist es so komisch.

An Originalschauplätzen gedreht überzeugt „Fleisch ist mein Gemüse“ durch die hervorragenden Leistungen der Schauspieler, allen voran Andreas Schmidt („Sommer vorm Balkon“) als sprüchekloppender Bandleader Gurki und der großartigen Livia S. Reinhard in der Nebenrolle als depressive Nachbarin Rosi. In Gastauftritten agieren Strunks „Studio Braun“-Kollegen Rocko Schamoni und Jaques Palminger.
 

Eric Horst

 

 

Es ist schon kurios: Mit den Erinnerungen an seine dunkelsten Jahre feiert Mathias Halfpape alias Heinz Strunk seinen größten Erfolg als Künstler. Von seinem Buch „Fleisch ist mein Gemüse“ wurden bislang 250 000 Exemplare verkauft. Strunks Erzählungen über eine „Landjugend mit Tanzmusik“ in der norddeutschen Tiefebene während der achtziger Jahre wurden auch als Hörspiel, Hörbuch und Operette ausgewertet. Jetzt kommt noch ein Film dazu. Regisseur Christian Görlich schafft es allerdings nicht, den deprimiert-galgenhumorigen Sound des Buches in angemessene Bilder zu fassen. Er setzt auf vordergründige Knalleffekte aus der bizarren Welt der Dorf-Hochzeiten und Schützenfeste. Nur selten gelingt es ihm, die  Verzweiflung einzufangen, die den Tanzmusiker Heinz in seinem verkorksten Leben gefangen hält. Görlich spendiert seinem Helden sogar ein augenzwinkerndes Happy-End. Das hat er nun wirklich nicht verdient. 

Heinz hängt in seinem tristen Zuhause in Hamburg-Harburg herum und weiß nicht, was er mit einem Leben anfangen soll. Also schlägt er die Zeit mit Trinken und Rauchen tot. Raus geht er nicht so gerne wegen einer blühenden Akne, die sein Gesicht in eine Kraterlandschaft verwandelt. An Frauen-Bekanntschaften ist deshalb nicht zu denken. Kurzum: Das Leben findet ohne Heinz  statt. Als seine schwer kranke Mutter in die Psychiatrie eingeliefert wird, scheint der Tiefpunkt erreicht. Rettung verspricht ein Anruf von „Gurki“, dem Chef der Tanzkapelle „Tiffanys“. Denn zweierlei beherrscht Heinz: das Saxofon und die Flöte. Nun beginnt eine jahrelange Tingelei zwischen Orten, die Winsen und Todtglüsingen heißen, vor einem Publikum, das von Musik nichts versteht und am liebsten nur „An der Nordseeküste“ hören möchte. Tanzmusiker, lernt Heinz schnell, sind arme Würstchen, die jede Demütigung lächelnd hinnehmen müssen. Seine Versuche, selbst Musik zu produzieren und auf diesem Weg an Frauen heranzukommen, scheitern ebenfalls. Heinz merkt: Es kommt immer noch schlimmer, als es schon ist. Doch in der größten Not taucht ein Produzent auf, der ihm eine Chance gibt.

Der Erfolg von „Fleisch ist mein Gemüse“ beruht zu einem Gutteil wahrscheinlich darauf, dass viele Leute die Provinz-Tristesse kennen, die Strunk in seinem Buch beschreibt. Und jeder hat bei irgendeiner Land-Festivität auch schon eine dieser bunt kostümierten Tanzcombos gesehen und sich gefragt: Was sind das denn für Typen? Hinzu kommt das Achtziger-Jahre-Kolorit: Minipli und Vokuhila, Karotten-Jeans und Manta. Und natürlich die schreckliche Musik: Oliver Bendt und seine Goombay Dance Band zum Beispiel. Der Stoff scheint sich also bestens für eine Film-Adaption zu eignen. Doch so einfach ist es nicht. Strunks Buch ist im Grunde todtraurig, die grotesken Situationen entfalten einen gewissen Witz erst in der Rückschau. Görlitz hat eine Tragikomödie im Sinn, doch diesen Ton trifft er meist nicht, weil er Witze aus dem all zu  Naheliegenden quetscht: Der Schlagzeuger ist eine Schießbudenfigur und stottert, die Schützen klappern mit ihren Orden, ein Besoffener packt bei der Polonaise die Frau vor ihm eben nicht an der Schulter. Ähnlich matt ist eine Rahmenhandlung, in der der echte Heinz Strunk sich mit einem Hirsch an der Wand (Jägermeister lässt grüßen) unterhält.

Immerhin bringt Hauptdarsteller Maxim Mehmet die Verlorenheit seiner Figur zum Ausdruck. Er ist ein guter Kerl, der trotz aller Niederschläge niemandem wehtut. Sein Abschied von Sängerin Anja (Susanne Bormann) wirkt allerdings wie die Szene aus einer Telenovela. Den alltäglichen Wahnsinn, den Strunk im Buch vorführt, verkörpert am besten Andreas Schmidt als „Gurki“. Als von sich selbst überzeugter Vorstadt-Charmeur haut er sinnfreie Sprüche raus („Swingtime is good time, good time is better time“) und dreht unablässig am Rad, ohne vorwärts zu kommen. Mit Sängerin Jette (Anna Fischer), die stark nach Nena klingt, erfindet Görlitz eine Figur, mit der Heinz dann doch noch ins Glück tanzt. Das stellt die Geschichte auf den Kopf. Auch wenn Kommentator Strunk bekennt, sich an so viel Erfolg gar nicht erinnern zu können – man wird mit Bildern des Glücks und einem warmen Gefühl entlassen. Der Schluss ist ein fauler Kompromiss, der die vermeintlichen Zuschauer-Erwartungen bedient. Und diese nicht sehr tiefgründige Komödie zielt ganz klar auf ein Massenpublikum. 

Volker Mazassek

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Hamburg-Harburg, 80er Jahre. Heinz Strunk (Maxim Mehmet) hat als Musiker, als Liederschreiber und Saxophonist vor allem, eine unbestrittene Begabung, die aber noch schläft und die vor allem von seiner Passivität und Faulheit überdeckt ist. Er lebt in sehr ärmlichen Verhältnissen mit seiner nervenkranken Mutter (Susanne Lothar), manchmal auch in Gesellschaft seiner dicken Nachbarin Rosi (Livia S. Reinhard), die sich später aus Kummer über ihre Einsamkeit das Leben nehmen wird.

Die Tiffanys sind eine fünfköpfige Band für Schützenvereinsfeste, Hochzeiten und Karnevalsveranstaltungen, bei der es nicht auf Pop und Rock ankommt, auch nicht auf besondere Qualität, sondern auf volkstümliche Musik, Stimmung und Lärm. Sie brauchen einen Saxophonisten. Heinz wird engagiert. 

Nun muss er mit der Band kleinste Dörfer wie Todtglüsingen und Wirtslokale wie im Hotel Deutsches Haus abklappern und zum Tanz aufspielen – vor wild hopsendem jugendlichen Publikum ebenso wie vor halbkranken, aber fröhlichen Senioren.

Doch sein eigentliches Ziel, nämlich ein bedeutender Musiker zu werden, gibt er jetzt nicht mehr auf. Dazu ermuntern ihn sowohl Anja (Susanne Bormann), die für ihn singt und die er liebt, aber rasch wieder verliert, sowie die forsche, politisch radikale Jette (Anna Fischer), mit der er endlich den großen Auftritt hat.

Bemerkenswert an diesem Film sind die biographischen Anklänge an das Leben des Rowohlt-Autors Heinz Strunk; die Echtheit, mit der hier das Tingeltangelleben der Tiffanys und das von ihnen bediente Publikum gezeigt wird; die Souveränität, mit
der vieles ins Ironische gehoben ist; die Balance zwischen Komik und Tragik; die Emotionalität und Intensität, mit der gespielt wird, z.B. auch von „Gurki“ (Andreas Schmidt); die Wiedererschaffung der Epoche und des Milieus, von denen der Film handelt.

Etwas, das man sich gerne gefallen lässt.

Thomas Engel