Forgetting Dad

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Ein Mann hat einen Autounfall und verliert ein paar Tage später sein Gedächtnis. Aber stimmt das auch, und wenn nein, was treibt diesen Menschen zu solch einer Handlung? Der Sohn dieses Mannes heißt Rick Minnich und hat über sein kompliziertes Verhältnis zu seinem Vater eine Dokumentation gedreht, die leider filmisch nicht an die Faszination des Themas heranreicht, in einigen Momenten aber geradezu philosophische Qualität erreicht.

Webseite: www.wfilm.com

Deutschland 2009 - Dokumentation
Regie: Rick Minnich, Matt Sweetwood
Drehbuch: Rick Minnich, Matt Sweetwood
Länge: 84 Min. Min. (Digital)
Verleih: W-Film
Kinostart: 3. Juni 2010
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Es war wohl immer ein schwieriges Verhältnis, das der Regisseur Rick Minnich zu seinem Vater Richard hatte. Doch wie schwierig und belastet, das hat auch Rick erst im Laufe seiner Arbeit an der Dokumentation „Forgetting Dad“ festgestellt. Das Ergebnis wirkt bisweilen wie eine Psychotherapie, die nicht nur Rick dabei hilft mit seiner Vergangenheit fertig zu werden, sondern auch seinen diversen Schwestern und Halbbrüdern. So ist es kaum vermeidbar, dass „Forgetting Dad“ oft wie ein unziemlich voyeuristisches Dokument wirkt, dass der Zuschauer Einblicke in Familienverhältnisse bekommt, die eigentlich besser privat geblieben wären. Aber das ist wohl die unvermeidbare Folge der technologischen Entwicklung, die zu so kleinen und leichtbedienbaren Kameras geführt hat, die praktisch jeder Amateur bedienen kann.

Und amateurhaft wirkt Minnichs Film über weite Strecken auch. Krude gefilmte Bilder, miserabel nachgestellte Szenen, die vollkommen zweckfrei den Blick des amnesischen Vaters zeigen sollen, eine oft naive Narration, die offensichtliche Fragen und Aktionen noch mal auf den Punkt bringt, vor allem aber eine unerträglich laute Musik, die von der ersten bis zur letzten Minute fast jedes Bild mit bombastischem Soundbrei zukleistert.

Dass „Forgetting Dad“ trotz dieser eklatanten filmischen Schwächen ein bemerkenswerter Dokumentarfilm ist, spricht für die Qualität seines Sujets und seiner Herangehensweise.
Ursprünglich wollte Rick einen Film über die Genesung seines Vaters drehen, der nach einem Verkehrsunfall plötzlich sein Gedächtnis verloren hatte. Jahre später verließ er plötzlich seine zweite Frau (Rick selbst ist Sohn aus der ersten Ehe) und zog in ein abgelegenes Dorf im tiefsten amerikanischen Hinterland. Behutsam nähert sich Rick seinem Vater, zeichnet dessen Leben vor und nach dem Unfall nach, spricht mit seinen weit verstreuten und oft entfremdeten Verwandten und fördert langsam die dunklen Seiten im Leben seines Vaters zu Tage.

Ein aufbrausender Mann scheint der gewesen zu sein, ein Lebemann, der seine Frauen betrog, sich auf windige Geschäfte einließ, zu Wutanfällen neigte, bei denen er auch seine Kinder schlug. Vor allem aber ein Mann, den alle seine Ex-Frauen als trickreich bezeichnen, dem praktisch jeder zutraut, seine Amnesie nur vorgetäuscht zu haben, um einen Schlussstrich zu ziehen und neu anzufangen.

Fast detektivisch forscht Rick nun weiter, findet Krankenakten, die ihn zweifeln lassen, stellt die Fragen, die ihn wohl schon lange umtreiben, die er aber nie zu stellen gewagt hat. Schließlich trifft er nach Jahren der Funkstille auch seinen Vater wieder, der sich nicht filmen lässt und auch keine genaue Antwort auf die Fragen gibt. Und das ist die größte Stärke des Films: Das er fragt, ohne zu antworten. Rick deutet Möglichkeiten an, stellt Vermuten und Hypothesen an, die das Verhalten seines Vaters erklären können, doch auf eine eindeutige und damit fast zwangsläufige reduzierte Antwort lässt er sich nicht ein. In diesen Momenten findet „Forgetting Dad“ zu nachgerade philosophischer Qualität, wird aus einer individuellen Vater-Sohn Geschichte eine universelle Erzählung über schwierige Familienverhältnisse und Abnabelungsprozesse.

Michael Meyns

Sacramento, Kalifornien. Ein Autounfall. Im ersten Augenblick eine banale Angelegenheit. Doch sie hat Folgen. Der 44jährige Richard Minnich, der in den Unfall verwickelt war, verliert sein Gedächtnis. Er erkennt nicht einmal mehr seine Frau.

Langsam kommt das Bewusstsein wieder – aber nur das neue. Aus dem Old Richard ist der New Richard geworden. Die Vergangenheit bleibt ausgelöscht.

Rick Minnich, der älteste Sohn – und in Deutschland lebender Dokumentarfilmer – will nach vielen Jahren erkunden, was es mit der Krankheit des Vaters auf sich hat, wie es ihm geht, wie sein Leben (mit mehreren Ehen) seither war, was die Halbgeschwister (und die früheren Frauen) machen, ob seine Recherchen und der daraus entstehende Film mehr Klarheit bringen, als dies bisher der Fall war.

Denn klar ist nichts. Simuliert etwa Richard nur? Hat er eine wirkliche Amnesie? Wie ist sie entstanden? Denn die ärztlichen Befunde sagen, dass der Autounfall vielleicht der Auslöser, aber nicht die Ursache für den Gedächtnisverlust war. Woher also kommt alles? War Richard schon damals derart traumatisiert, weil er geschäftlich am Boden lag? Er beantwortet heute keinerlei Fragen mehr, ist weit weg gezogen, brach außerdem jeglichen Kontakt ab.

Rick Minnichs Film schlägt viele Seiten des Dramas auf: das nicht gerade leichte Leben der Ehefrauen; das Rätseln und die verschiedenartigsten Aussagen der Kinder, des Bruders und anderer Verwandter; die Trauer um das Geschehene und den Verlust des Erziehers; die Zweifel; die bis heute nicht geklärte – auch wohl nie gänzlich in Erfahrung zu bringende – Wirklichkeit.

Es sind natürlich beschränkt–persönliche Themen und Probleme, die hier untersucht und abgehandelt werden. Doch sie sind bis zu einem gewissen Grade extrapolierbar auf die Allgemeinheit: die Flucht vor sich selbst und vor anderen, das Scheinleben, die Verantwortungslosigkeit, die mögliche Lüge, das Altern, die Demenz.

Formal ist der Film gut gemacht. Er hat es immerhin zu „besonders wertvoll“ gebracht.

Thomas Engel