Foxtrot

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In der Form eine griechische Tragödie, im Ton ein Drama und auch beißende Satire, im Kern eine deutliche, schonungslose Kritik an seiner israelischen Heimat und den zum Teil aufgedrängten, zum Teil selbstgewählten Kriegen, die das Land und die Psyche seiner Bewohner seit Staatsgründung prägen. All das ist Samuel Moaz „Foxtrot“, ein streng inszenierter, komplexer, intelligenter, vielschichtiger Film.

Webseite: www.foxtrot-derfilm.de

Israel 2017
Regie & Buch: Samuel Moaz
Darsteller: Lior Ashkenazi, Sarah Adler, Yonatan Shiray, Gefen Barkai, Dekel Adin, Shaul Amir, Itay Exlroad
Länge: 113 Minuten
Verleih: NFP
Kinostart: 12. Juli 2018

PRESSESTIMMEN:

Einer der brillantesten Filme des Jahres.
Der Stern

Meisterlich und präzise konzipierte Analyse.
EPD Film

Visuell ganz starkes Erlebnis.
FAZ

FILMKRITIK:

Schon beim Anblick der Soldaten, die an die Tür ihres stilvollen Appartements in Tel Aviv klopfen ,wissen Michael (Lior Ashkenazi) und Dafna (Sarah Adler) was passiert ist: Ihr Sohn Jonathan (Yonatan Shiray) ist gefallen, gestorben im Dienst für sein Land, den jeder junge Israeli ableisten muss, oft an den Grenzen der besetzten Gebiete, an Straßenposten oder gleich ganz in einem der vielen Kriege, die Israel immer wieder führt.
 
Schockstarre erfasst die Eltern, die Militärseelsorger agieren dagegen routiniert, zu oft haben sie anderen Eltern die gleiche Nachricht überbracht. Die Beerdigung wird geplant, doch dann die Nachricht: Jonathan lebt, es war ein Irrtum. Schnitt in die Einöde der Wüste: Jonathan und drei andere Soldaten hausen in einem Container im Niemandsland und bewachen einen Straßenposten, den manchmal ein Kamel passiert, manchmal ein Auto mit Palästinensern, das die jungen Soldaten mit großer Vorsicht und einigem Misstrauen kontrollieren.
 
Meist passiert gar nichts, meist bewachen die Soldaten ein Nichts, doch allzu schnell kann die Situation in einer Katastrophe enden, wie die weiteren, schicksalshaften Ereignisse zeigen.
 
Der Foxtrot ist ein Tanz bei dem sich die Tänzer, so wird es im Film nicht einmal, sondern gleich zweimal erklärt, zwei Schritte vor, zwei nach links, zwei zurück und schließlich zwei nach rechts bewegen, anders gesagt: Im Kreis. Israel ist ein Land, dass sich seit seiner Gründung vor exakt 70 Jahren im praktisch dauerhaften Kriegszustand mit seinen Nachbarn befindet, aber auch mit den im israelischen Kernland oder den von Israel besetzen Gebieten lebenden Palästinensern, also praktisch mit sich selbst.
 
Überdeutlich ist also die zentrale Metapher von Samuel Moaz Film, der schon mit seinem Debüt „Lebanon“ einen mehr als kritischen Blick auf seine Heimat geworfen hat, in seinem zweiten Film aber noch viel weiter geht. Viel Kritik hat er in Israel für seine Darstellung des Militärs bekommen, einer Institution, die wie sonst in kaum einer anderen modernen Demokratie im Mittelpunkt des täglichen Lebens steht, denn praktisch jede Familie hat unmittelbar mit ihr zu tun. Und viele Familien haben tote Söhne (oder Töchter, denn in Israel muss wirklich jeder zum Militärdienst) zu beklagen, die immer häufiger an den zahlreichen Kontrollpunkten Dienst tun, die Israel von den besetzten Gebieten trennen. Im Dienste der Nation, wie die Verfechter des Status Quo sagen, im Dienste einer fragwürdigen Politik, wie Kritiker meinen, die nicht nur dabei ist, Israels Ruf in der internationalen Gemeinschaft zu verschlechtern, sondern auch den Kreislauf der Gewalt, der immer neuen Traumata, fortsetzt, die Israel seit seiner Gründung mit sich rumschleppt.
 
War es anfangs die Generation der Holocaust-Überlebenden, die in Moas Film durch die Großmutter der Familie repräsentiert wird, die noch Deutsch spricht und dabei ist, ihren Verstand zu verlieren, folgte die nächste, die wie Michael im Yom Kippur oder Sechs-Tage-Krieg kämpfte oder – wie Moaz selbst – im Lebanon-Krieg und dabei oft Grauenhaftes erlebte und oft auch verübte. Allzu selbstverständlicher Teil der israelischen Gesellschaft und Psyche sind Gräueltaten, ist der Krieg in Moaz Augen inzwischen geworden, prägt Generation auf Generation, deren Traumata vom Staat auf mechanische Weise behandelt werden, aber nie Anlass für ein grundsätzlich nach- oder gar umdenken sein dürfen.
 
Diese düstere Zustandsbeschreibung inszeniert Samuel Moaz in strenger Form, die im ersten und dritten Teil, der ausschließlich in der Wohnung des Paares in Tel Aviv spielt, die Form eines klaustrophobischen Kammerspiels einnimmt, und im Mittelteil wie eine groteske Satire wirkt. Und über allem schwebt die Frage, wie es mit Israel weitergehen mag, wie sich das Land aus dem Kreislauf der Gewalt und (vererbten) Traumata befreien kann, die Moaz in seinem luziden Film so präzise diagnostiziert.
 
Michael Meyns