Freiheit

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Freiheit. Ein großes Wort für einen kleinen, oft feinen Film, in dem vor allem Johanna Wokalek als Frau überzeugt, die ihre Familie verlassen hat, um nach so etwas wie Freiheit zu suchen, wie auch immer man diese definiert. Doch diese Geschichte reicht Regisseur Jan Speckenbach in seinem zweiten Film nicht, was „Freiheit“ in manchen Momenten unbefriedigend werden lässt.

Webseite: www.filmkinotext.de

Deutschland/Slowakei 2017
Regie: Jan Speckenbach
Buch: Jan Speckenbach & Andreas Deinart
Darsteller: Johanna Wokalek, Hans-Jochen Wagner, Andrea Szabová, Ondrej Koval, Emil von Schönfels, Inga Birkenfeld
Länge: 100 Minuten
Verleih: Film Kino Text
Kinostart: 8. Februar 2018

FILMKRITIK:

Im Kunsthistorischen Museum in Wien beginnt die Geschichte, vor Bruegels monumentalem „Turmbau zu Babel“, der die biblische Geschichte vom Stolz der Menschen und der Strafe der Sprachverwirrung als zentrales Thema des Films etabliert. Wer sich das Gemälde anschaut ist Nora (Johanna Wokalek) von der wir bald erfahren, dass sie ihre Familie in Berlin verlassen hat, ihren Mann Philip (Hans-Jochen Wagner) und die beiden Kinder.
 
Während Nora durch Wien driftet, einen One-Night-Stand hat, dann nach Bratislava weiterreist, ziellos, nach etwas suchend, vielleicht nach sich selbst oder nach einer Antwort für ihre Flucht, versucht Philip in Berlin sein Leben am Laufen zu halten. Er ist Anwalt, verteidigt gerade einen Schläger, der einen schwarzen Mann, vielleicht einen Asylbewerber, ins Koma geprügelt hat, mit einer Arbeitskollegin hat er eine Affäre, die Kinder sind wohlerzogen, eigentlich ist alles ganz Okay, aber irgendwas stimmte wohl nicht.
 
Während in Berlin die Erinnerung an Nora langsam verschwindet, lernt Nora in Bratislava Etela (Andrea Szabová) kennen, die auf der Bühne Sex simuliert und mit Tamas (Ondrej Koval) verheiratet ist. Eine funktionierende Familie, die Nora allzu sehr an ihre eigene erinnert.
 
Schon in seinem Debüt „Die Vermissten“ erzählte Jan Speckenbach von einem Mädchen, das plötzlich verschwand, hier beleuchtet er nun beide Seiten eines Verschwindens, einer Flucht für die es keinen offensichtlichen Grund gibt, an deren Notwendigkeit man aber nie zweifelt.
 
Erst ganz zum Ende des Films kehrt Speckenbach zum Anfang der Geschichte zurück, zeigt die letzten Momente bevor Nora ihre Familie, die Sicherheit ihrer bürgerlichen Existenz aufgibt, doch auch hier gibt es – zum Glück – keine klaren Antworten. Ein ganz gewöhnliches Leben haben Nora und Philip augenscheinlich geführt, von dem Nora eines Tages genug hatte. Doch auch das scheinbar Ungewöhnliche, dass ihr in den Tagen ihrer Flucht, ihrer Suche begegnet, reizt sie nicht als Alternative. Schlafwandlerisch bewegt sich Johanna Wokalek durch den Film, verzieht kaum eine Miene, egal ob sie von einem jungen Typen im Supermarkt angesprochen wird und kurzentschlossen mit ihm nach Hause geht, ob sie im Bus sitzt, der überfallen wird, schließlich in Bratislava Arbeit als Putzfrau findet.
 
Vielleicht hätte dieses Doppelporträt von einem Mann, der verlasen wurde und einfach weiterlebt und einer Frau, die verlassen hat und ebenfalls einfach weiterlebt, für einen Film gereicht, doch Jan Speckenbach will mehr. Als Motto stellt er seinem Film ein (angebliches?) slowakisches Sprichwort voran, das vom Fluss Lethe berichtet, aus dem die Toten trinken müssen, um zu vergessen. Auf die griechische Mythologie spielt das an, aber man mag hier auch an die Gegenwart denken, an Flüsse oder Meere, die Flüchtlinge durchqueren, um in Europa ihren Traum von Freiheit zu leben, Bezüge, die Speckenbach immer wieder explizit, aber unbefriedigend in seinen Film einflechtet. Allzu umfassend ist ein Begriff wie Freiheit, allzu kompliziert die Fragen des Umgangs mit Flüchtlingen, Asylbewerbern, Rassismus, als das es überzeugend erscheint, diese als bloßen Hintergrund für ein Familiendrama zu benutzen.
 
Michael Meyns