Fremont

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Wie aus der Zeit gefallen wirkt „Fremont“, der mit seinen schwarz-weißen Bildern und seinem lakonischen Humor unweigerlich an die Filme von Jim Jarmusch erinnert. Hier führte jedoch Babak Jalali Regie, der aus dem Iran stammt, und nun einen Film über eine afghanische Frau in Amerika gedreht hat. Ein Film, der auf den ersten Blick betont unspektakulär wirkt, aber voller kleiner, wahrer Lebensweisheiten ist.

USA 2023
Regie: Babak Jalali
Buch: Carolina Cavalli
Darsteller: Anaita Wali Zada, Hilda Schmelling, Avis See-Tho, Aiddique Ahmed, Taban Ibraz, Timur Nusratty

Länge: 91 Minuten
Verleih: trigon-film/Cinemalovers
Kinostart: 9. November 2023

FILMKRITIK:

In ihrer afghanischen Heimat arbeitete Donya (Anaita Wali Zada) als Übersetzerin für die amerikanischen Besatzer, nun lebt sie in Fremont, einer kleinen Schlafstadt in der Nähe von San Francisco. Unspektakulär läuft das Leben hier ab, tagsüber arbeitet Donya in einer Fabrik, in der Glückskekse hergestellt werden, abends sitzt sie gerne im Diner, in dem ein Kellner eine Schwäche für Soap Operas hat. Nachts leidet sie an Schlaflosigkeit. Kein dramatisches Trauma plagt sie – so wie die gesamten 90 Minuten des Films betont undramatisch ablaufen – doch immer wieder fragt sich Donya, warum gerade sie überlebt hat, während so viele Menschen im Krieg starben. Warum lebt sie ein zwar bescheidenes, aber doch angenehmes Leben, warum hatte sie soviel Glück?

Mit ihren Arbeitskollegen tauscht sie sich aus, träumt davon, sich vielleicht sogar zu verlieben und wird eines Tages von ihrem chinesischen Boss befördert: Nun ist sie es, die die kurzen Sentenzen in den Glückskeksen schreibt, denn wie ihr Boss ahnt, kann eine Person, die viele Erinnerungen hat, auch gut schreiben. Nun sendet Donya Botschaften in die Welt, doch es ist vor allem die Begegnung mit einem Psychologen (Gregg Turkington), die ihr den Weg zeigt.

Man könnte „Fremont“ als Flüchtlingsdrama bezeichnen, handelt es doch von Migranten aus unterschiedlichen Ländern, die in Amerika ihr Glück suchen. Nicht in einer der Großstädte, sondern in einer kleinen Gemeinde, in der das Leben langsam und beschaulich abläuft, in der Platz für viele ist, in der Menschen oft aber auch ein wenig unbestimmt nebeneinander her leben, ohne sich wirklich zu kennen.

So eine Person ist Donya, ideal verkörpert von der Newcomerin Anaita Wali Zada, die vor einigen Jahre wie ihre Rolle aus Afghanistan flüchtete und hier zum ersten Mal vor einer Filmkamera steht. Sie muss wenig tun, um die vielfältigen Emotionen ihrer Figur anzudeuten, die lange braucht, um zu verstehen was ihr im Leben fehlt.

Als ideale Metapher auf dem Weg zur Erkenntnis funktionieren dabei die Glückskekse, jenes leicht süße Gebäck, in dessen Inneren sich eine mehr oder weniger sinnige Lebensweisheit befindet. Nicht zu präzise, aber auch nicht zu vage soll diese sein, erklärt ihr Chef Donya, nicht zu optimistisch, aber auch nicht pessimistisch. Eine schwierige Balance also, die auch Babak Jalalis Film erfolgreich hält: Irgendwo zwischen Komödie und Drama bewegt sich „Fremont“, in einer Welt der kleinen, genauen Beobachtungen, voller lakonischer Momente, mit lebensnahen Figuren, die Empathie auslösen und die man gerne beobachtet. Das angesichts dieses Tonfalls und besonders der ruhigen, im klassischen 4:3 Format kadrierten Bilder unweigerlich Vergleiche zu Jim Jarmusch wach werden ist kein Vorwurf, im Gegenteil: Mit seinem vierten Film „Fremont“ ist Babak Jalali ein bemerkenswertes Kleinod gelungen, voll von ganz eigenen Charakteren und kleinen, wahren Lebensweisheiten.

 

Michael Meyns