Milieustudie, Krimi und Geschwisterdrama – all das bringt Damian John Harper in seiner Adaption des schottischen Romans „Frisch“ von Mark McNay stimmungsvoll zusammen. Auch wenn nicht jede erzählerische Entscheidung sitzt, wünscht man sich mehr deutsche Filme wie diesen rauen, im positiven Sinne ungehobelten Ruhrpott-Thriller, der einem zeitweise keine Luft zum Atmen lässt.
Über den Film
Originaltitel
Frisch
Deutscher Titel
Frisch
Produktionsland
DEU
Filmdauer
98 min
Produktionsjahr
2024
Produzent
Weydemann, Jakob D. / Weydemann, Jonas / McWellie, Yvonne
Regisseur
Damian John Harper
Verleih
Port au Prince Pictures GmbH
Starttermin
03.07.2025
Schon im Kindesalter ereilt die Brüder Kai und Mirko ein Schicksal, das man niemandem wünscht. Die Mutter stirbt, der Vater verschwindet, und die beiden Jungs landen bei ihrem Onkel Andy (Sascha Geršak), einem zupackenden Malocher, der in einer Fleischfabrik Schweine auseinandernimmt. Eben dort verdingt sich später auch der erwachsene Kai (Louis Hofmann), der seiner Frau Ayse (Canan Kir) und seiner Tochter Jenny (Pola Friedrichs) so gerne ein halbwegs sorgenfreies Leben bieten würde. Doch das Geld reicht hinten und vorne nicht. Wenig zuträglich ist außerdem, dass er beim Wettspiel Schulden ansammelt.
Der etwas ältere Mirko (Franz Pätzold) wiederum hat mit ehrbarer Arbeit wenig am Hut, geriet schon früh auf die schiefe Bahn und konnte seine Impulse noch nie richtig kontrollieren. Für seine Drogengeschäfte spannt er gelegentlich auch seinen jüngeren Bruder ein. Als Kai erfährt, dass der mal wieder im Gefängnis sitzende Mirko in Kürze entlassen wird, schrillen bei ihm alle Alarmglocken. Dummerweise hat er nämlich die 10.000 Euro, die er für Mirko verwahren sollte, fast vollständig ausgegeben. Einmal draußen, steht der Gewohnheitskriminelle auch schon auf der Matte und lässt nicht groß mit sich verhandeln.
Zuletzt war Regisseur und Drehbuchautor Damian John Harper, ein Absolvent der Hochschule für Film und Fernsehen in München, mit der Fantasy-Bestselleradaption „Woodwalkers“ in den deutschen Kinos vertreten. Auf sich aufmerksam machte der US-Amerikaner allerdings mit eindringlichen Milieuarbeiten. „In the Middle of the River“ beispielsweise schildert, wie ein traumatisierter Irakkriegsheimkehrer in einem desolaten Umfeld den mysteriösen Tod seiner Schwester aufzuklären versucht.
Auch „Frisch“ entführt das Publikum in eine finstere, trostlose Ruhrpott-Welt, aus der es offenbar kein Entrinnen gibt. Kai folgt seinem Onkel in die Fleischfabrik und trifft dort auf einen Bully aus Schulzeiten. Ein anderer junger Mann, den er von früher kennt, hat es immerhin zur Polizei geschafft. Das Wiedersehen der beiden hat jedoch unheilvolle Konsequenzen.
Fast der gesamte Film spielt bei Nacht, oft in engen, verwahrlosten Wohnungen oder an Hinterhofschauplätzen, die einen alles andere als einladenden Charakter haben. Wie nicht selten bei Damian John Harper geht die Kamera nah an die Figuren heran, gibt dem Zuschauer fast keine Chance, das düstere Geschehen auf der Leinwand irgendwie auf Abstand zu halten. Mittendrin statt nur dabei – häufig hört man diesen Satz, hier trifft er den Nagel aber wirklich auf den Kopf.
Herausfordernd ist auch der bruchstückhafte Aufbau der Geschichte, die sich vor unseren Augen wie ein Mosaik entfaltet. Die Übergänge zwischen Gegenwart und Vergangenheit sind fließend. Erst nach weit über einer Stunde lässt sich eine Chronologie erschließen. Als Herzstück kann man indes schon am Anfang die toxische Beziehung der so grundverschiedenen Brüder ausmachen. Im Raum stehen vor allem folgende Fragen: Schafft es Kai, Mirko zu besänftigen oder sich gar von ihm zu lösen? Bislang hat er sich nämlich stets angepasst, getan, was ihm befohlen wurde, aus Angst, Mirkos Zorn abzubekommen.
Ein wenig aufgesetzt wirken die immer mal wieder eingestreuten Westernanspielungen. Und auch die Voice-over-Kommentare Ralf Richters als Kais innerer Monolog sind auf Dauer nicht unbedingt zielführend. Die bereits mit den ersten Szenen etablierte Intensität hält „Frisch“ dennoch aufrecht. Nicht zuletzt, weil die Stimmung binnen Sekunden komplett umschlagen kann. Wut- und Gewaltausbrüche schnüren einem immer wieder die Kehle zu.
Großen Anteil an der Wucht des Films haben, wenig verwunderlich, die beiden Hauptdarsteller. Louis Hofmann als eingeschüchterter, sich lange wegduckender Familienvater, in dem es aber spürbar brodelt, und Franz Pätzold als tickende Zeitbombe, eine Naturgewalt, die über alles hinwegfegt, was sich ihr in den Weg stellt. In einer gerechten Welt müsste gerade seine Darbietung mit Preisen überschüttet werden. Furchteinflößenderes hat man in einer deutschen Produktion in den letzten Jahren wahrscheinlich nicht gesehen.
Christopher Diekhaus