Für Sama

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Das Kriegstagebuch einer Frau aus Syrien ist ein beeindruckendes Dokument von brutaler Wahrhaftigkeit und in seinem verhaltenen Optimismus ein beinahe zärtliches Geschenk an die eigene Tochter - die kleine Sama, geboren im eingekesselten Aleppo während der Bombenangriffe. Waad al-Kateabs Film entstand unter Mitwirkung des erfahrenen Dokumentaristen Edward Watts. Ihr gemeinsames Werk ist nicht nur ein Appell gegen den Krieg, sondern ein Weckruf an die Welt.

Webseite: filmperlen.com

Großbritannien 2019
Regie: Waad al-Kateab, Edward Watts
Kamera: Waad al-Kateab
Länge: 95 Minuten
Verleih: Filmperlen
Kinostart: 5. März 2020

Festivalpreise/Pressestimmen:

2019 Filmfestival Cannes, Bester Dokumentarfilm
2019 Europäischer Filmpreis als bester Dokumentarfilm
2019 British Indipendent Film Awards: Bester Film, beste Regie, bester Schnitt, bester Dokumentarfilm
2019 Filmfest München, Publikumspreis
2019 Filmkunstmesse Leipzig, Preis der Jugendjury

2020 Nominierung für den OSCAR als bester Dokumentarfilm!

2020 Deutscher Menschenrechts-Filmpreis (bester Langfilm)

“Waad al-Kateab ist mit ihrem Liebesbrief an ihre Tochter ein beeindruckender Film gelungen, mit Szenen unvorstellbaren Leids, aber auch der Lebenslust. Ein Film voller Grauen – und doch ein Zeugnis von Hoffnung in einem Land voller Hoffnungslosigkeit.”
ZDF ASPEKTE

FILMKRITIK:

Als die syrische Abiturientin Waad al-Kateab ihr Wirtschaftsstudium in Aleppo beginnt, zeichnet sich auch hier ein „Arabischer Frühling“ ab. An der Universität gibt es oft Demonstrationen gegen das Assad-Regime, die sich immer mehr ausweiten. Waad al-Kateab schließt sich den Protesten an, erste Erfolge werden bejubelt, doch die Freude über neu gewonnene Freiheiten und den möglichen Rückzug der Regierungsdiktatur weicht bald dem Entsetzen. Als die Auseinandersetzungen eskalieren, wird die 20-jährige Waadzur Bürgerjournalistin – zunächst eine von vielen, die über einen Zeitraum von mehreren Jahren die Bilder aus der eingeschlossenen Stadt festhalten und über Kontakte in die Außenwelt schicken, vor allem nach Großbritannien. Die Frage einer Flucht stellt sich für Waad zunächst nicht, trotz der flehentlichen Bitten ihrer Eltern, Aleppo zu verlassen und zu ihnen zu fliehen. Waad will bleiben und helfen. Während die Situation für die Zivilbevölkerung immer schlechter wird, verliebt sie sich in den Arzt Hamza, den sie schon lange kennt und der im letzten funktionsfähigen Krankenhaus der Stadt praktisch 24 Stunden am Tag Kranke und Verletzte versorgt. Die beiden heiraten, und mitten im Krieg wird Waad schwanger. Als ihre Tochter Sama geboren wird, ist trotz des Elends um sie herum die Freude der Eltern riesengroß. Irgendwie schafft es Waad, der Kleinen ein halbwegs normales Leben zu ermöglichen. Sama ist ein fröhliches Kind, sie lächelt oft und zuckt nicht einmal zusammen, wenn in unmittelbarer Nähe Bomben einschlagen – das Baby kennt es nicht anders. Sama wird zur ständigen Begleiterin ihrer Mutter bei den Filmaufnahmen auf den zerstörten Straßen, zwischen den Ruinen, im Luftschutzkeller und in der Klinik, wenn die Schwerverletzten eingeliefert werden und wenn sich Mütter von ihren toten Kindern verabschieden. Und Sama lächelt.

Ihr widmet Waad diesen Film, der sich allen üblichen Schubladen entzieht. FÜR SAMA ist alles andere als ein klassischer Dokumentarfilm, man könnte ihn am ehesten als persönliches Statement bezeichnen, als Appell gegen den Krieg und gegen das, was Menschen anderen Menschen antun. Aber dieser Film ist noch mehr, nämlich ein Angriff auf die Gleichgültigkeit des Wegschauens. Wer diesen Film gesehen hat, kann nicht mehr so tun, als ginge ihn das Leben und Sterben in Syrien nichts an. Insofern ist FÜR SAMA, obwohl mit einfachsten Mitteln und ohne cineastische Fachkenntnisse entstanden, durchaus vergleichbar mit den größten und aufrüttelndsten Dokumentarfilmen der Kinogeschichte, vor allem mit DER GEWÖHNLICHE FASCHISMUS von Michail Romm (1965) und NACHT UND NEBEL von Alain Resnais (1956). Wie diese beiden Werke setzt auch Waad al-Kateabs Film starke Emotionen frei. Jedoch moralisiert sie nicht, obwohl sie ihrem Publikum einiges abfordert. Es wäre allerdings übertrieben, zu sagen, dass man Mut braucht, um den Film zu sehen. Mut wurde gebraucht, um besetzten Aleppo zu bleiben und Verletzte zu behandeln, immer in Gefahr, von Regierungstruppen aufgespürt zu werden. Insofern waren Waad al-Kateab, Hamza und ihre Freundinnen und Freunde mutig, von denen nur wenige überlebt haben. Waad zeigt die unmittelbaren Schrecken des Krieges, so die Bombenangriffe auf das Krankenhaus, wo ein paar Meter neben ihr Sprengkörper explodieren, doch das Leben in der zerstörten Stadt hat auch friedliche Momente, in denen Waad und Hamza mit ihrer kleinen Tochter zusammen sind. Doch für Waad gibt es keinen Frieden, nur die Sehnsucht danach. Sie beschreibt ihre Gefühle und ihre Gedanken, so wie sie mit der Kamera den Krieg in Aleppo zeigt. Ganz ohne Pathos und beinahe ohne Emphase. Wenn sie hofft, dass Sama ihr einst verzeihen wird, sie in diese Welt geboren zu haben, dann sagt sie das ganz gelassen, mit ihrer ruhigen, freundlichen Stimme, die sie nur selten erhebt. Wenn sie nach einem Angriff ihr Kind sucht, wird sie etwas lauter. Auch wenn die Realität immer bedrohlicher wird, und dieses Gefühl überträgt sich durchaus ebenfalls auf das Publikum, besteht der Alltag nicht nur aus Schreckensszenarien: Fröhliche Kinder bemalen einen ausgebrannten Bus, Waad und Hamza feiern ausgelassen mit Freunden, die Nachbarin lädt zum Schwätzchen – und das lächelnde Baby ist immer dabei. Waads Bilder sind geprägt von einer ungeheuren Spannung, die aus der Normalität des Grauens entsteht, aber auch von der Hoffnung und von der Freude am Leben. Die Bilder vom Anfang zeigen ein unbeschwertes Mädchen, am Ende ist Waad von Angst und Entbehrung gezeichnet, so wie Hamza, in den sie sich verliebt hat, weil er immer lächelt. Der Krieg hat das Lächeln aus seinem Gesicht gewischt. Doch das Wertvollste ist ihnen beiden geblieben: Sama, die das Lächeln ihres Vaters geerbt hat.

Gaby Sikorski