Das Kinodebüt der Filmemacherin Natalija Yefimkina führt in eine fremdartige, bizarre Welt: eine ganze Stadt voll mit alten, verfallenen Garagen. Sie liegt auf einem Hochplateau nahe der Stadt Murmansk im hohen Norden Russlands. Hier hat sich ein eigener Mikrokosmos entwickelt – eine anarchische Gemeinschaft, in der sich zumeist Männer betätigen. Natalija Yefimkina zeigt die Melancholie, die Tragik und den Humor dieser Menschen. Dabei erzählt sie ebenso authentisch wie kurios vom Leben jenseits des Polarkreises und von einem Russland, in dessen versteckten Winkeln die Anarchie regiert.
Website: www.missingfilms.de
Dokumentarfilm
Deutschland 2020
Buch, Regie: Natalija Yefimkina
Lämnge: 95 Minuten
Verleih: missingFILMs
Kinostart: 16.9.2021
Website: www.missingfilms.de
Dokumentarfilm
Deutschland 2020
Buch, Regie: Natalija Yefimkina
Lämnge: 95 Minuten
Verleih: missingFILMs
Kinostart: 16.9.2021
Über den Film
Originaltitel
Garagenvolk
Deutscher Titel
Garagenvolk
Produktionsland
DEU
Filmdauer
52 min
Produktionsjahr
2021
Produzent
Schütte, Andrea / Decker, Dirk
Regisseur
Yefimkina, Natalija
Verleih
missingFILMs – Acrivulis & Severin GbR
Starttermin
15.09.2021
FILMKRITIK:
Ein Mann kämpft sich schimpfend und ächzend über einen Schuttplatz und klettert einen Berg hinauf – die Kamera folgt ihm. Oben angekommen, steht er auf einer unbefestigten Straße, die von zahllosen alten, teils bunt bemalten Garagen gesäumt ist. Er öffnet eine kleine Tür in einer der Garagenfronten und verschwindet im Dunkel.
Der Beginn ist geheimnisvoll, quasi eine richtungsweise Einladung in den exotischen Kosmos des Garagenvolkes. Was sich hinter dieser Tür und vielen anderen Türen befindet, wird sich bald klären, ebenso wie die Frage, wer der Mann ist, der sich den Berg hochgekämpft hat. Es handelt sich um Sergej, der an Parkinson erkrankt ist und hier zur Ablenkung und als eine Art Beschäftigungstherapie in seiner Garage herumwerkelt. Viele andere um ihn herum gehen deutlich originelleren, manchmal sogar bizarren Hobbys nach. Es gibt praktisch nichts, was es nicht gibt: vom Schrottsammler bis zum Ikonenschnitzer, vom Tunnelbauer bis zum Amateurfunker, ein Fitness-Studio ist dabei, mindestens eine Rockband, eine Geflügelzucht, dazu ein paar Möchtegern-Soldaten und eine Hundezüchterin. Manches Pärchen findet seinen geheimen Rückzugsort in einer Garage, und viele Kids kommen nur zum Saufen und Grillen auf den Berg.
Was auch immer sie treiben – es ist alles erlaubt oder anders gesagt: Niemand kümmert sich darum. Legal, illegal oder einfach nur originell: Vorwiegend sind es Männer, die hier ihren mehr oder weniger kuriosen Freizeitbeschäftigungen nachgehen. Viktor hat seine Garage untertunnelt und innerhalb von mehr als 40 Jahren vier weitere unterirdische Stockwerke errichtet. Er hinterlässt sein Lebenswerk einem Enkel, der einen Partykeller daraus machen wird. Mit Geduld und Beharrlichkeit arbeitet jeder an kleinen und großen Projekten oder macht einfach irgendwas, meistens allein oder zu zweit. Ob es dabei zu Kontakten oder Freundschaften mit anderen kommt, ist mehr oder weniger dem Zufall überlassen. Wenn man sich trifft, fließt der Wodka in Strömen, hin und wieder gibt es auch mal eine Schlägerei, aber insgesamt geht es doch erstaunlich leise und friedlich zu. Der kurze Sommer ist schnell vorbei, im Winter wird es leer hier oben.
So feiern sie auf dem Berg ihre Freiheit und Unabhängigkeit. Das bedeutet vor allem, dass jeder macht, was er will. Unten im Tal, in den winzigen Wohnungen der Plattenbauten, lassen die Männer ihren Alltag zurück. Der ist trübe genug in der Bergarbeiter- und Hafenstadt Murmansk, wo der Sommer kurz ist und der Winter ewig lange dauert. Es macht viel Spaß, diese Welt zu entdecken. Natalija Yefimkina zeigt die Bilder ohne Kommentar oder Wertung, sie bleibt an ihren Protagonisten und wechselt oft kaum merklich den Schauplatz. Durch die Konzentration auf die Garagen und ihre Insassen wird die Umgebung noch unwirtlicher – die kahlen, hohen Berge, deren Gipfel auch im Sommer schneebedeckt sind, die Stadt, die nur in der Nacht schön aussieht.
Viele der Persönlichkeiten hier werden im Gedächtnis bleiben: der wackere Viktor, der nicht mehr lange zu leben hat, die Mitglieder der Rockband, die sich trennt, weil eigentlich alle hier wegwollen, oder der Wachtelzüchter Roman, der von einer Partnerin träumt. Manchmal wirkt die ganze Szenerie wie eine Theaterkulisse mit inszenierten Tableaus. Dann sehen die Garagen von Weitem aus wie merkwürdig dekorierte Puppenstuben. Jede stellt eine eigene kleine Welt dar, eine wahr gewordene Zukunftsvision. Zusammen bilden sie lauter kleine, isolierte Waben eines großen Ganzen, jede steht für einen einzelnen Menschen. Zusammen, aber nicht gemeinsam, haben sie all das gestaltet, und zwar aus einem unstillbaren Drang zur Betätigung, um etwas zu schaffen, was zu ihnen gehört. Aus all ihren Geschichten, Gesprächen und Erlebnissen ergibt sich ein kaleidoskopartiges, sehr interessantes Bild von Russland und den Menschen, die jenseits des Polarkreises leben und nicht viel mehr als ihre Träume haben.
Gaby Sikorski