Ein Friedhof als Stätte der Begegnung ist eine ungewöhnliche Vorstellung, doch genau das ist der Alte St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin. Genauer gesagt das Cafe Finovo, das von Bernd Boßmann, Schauspieler und Schwulenaktivist geleitet wird. Er steht im Mittelpunkt von Pasquale Plastino und Stéphane Riethauser kurzer und sehr sehenswerter Dokumentation „Garten der Sterne.“
Webseite: www.gartendersterne.com
Dokumentation
Deutschland 2016
Regie & Buch: Pasquale Plastino & Stéphane Riethauser
Länge: 61 Minuten
Verleih: missingFILMs
Kinostart: 21. Januar 2018
FILMKRITIK:
Einen Père Lachaise wie in Paris gibt es in Berlin nicht, einen Friedhof, auf dem unzählige Prominente ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. In Berlin sind die Gräber von Berühmtheiten wie Bertolt Brecht, Friedrich Wilhelm Murnau oder Nico über das ganze Stadtgebiet verteilt, darunter der Alte St.-Matthäus-Kirchhof, der sich im Stadtteil Schöneberg befindet. Die Lage ist nicht ganz unwichtig für den Schwerpunkt von Pasquale Plastino und Stéphane Riethauser Film, denn das in Schöneberg das schwule Zentrum Berlins liegt, führte dazu, dass hier besonders viele schwule Männer beerdigt sind, von denen viele an den Folgen von AIDS starben.
So lernte auch der Schauspieler Bernd Boßmann, der meist unter seinem Künstlernamen Ichgola Androgyn auftritt, den Friedhof kennen, zu dem er bald eine vielseitige, innige Beziehung aufbauen sollte. Nicht nur einen Grabplatz für sich und seinen Partner suchte er aus, er eröffnete im ehemaligen Verwaltungshäuschen das Café Finovo, eines der wenigen, vielleicht das einzige deutsche Friedhofscafé. Der Name setzt sich aus den Worten Fin für Ende und Novo für Neubeginn zusammen, ein optimistischer Name für einen Ort der ewigen Ruhe, aber auch passend, denn gerade Boßmann versucht mit seiner Arbeit, die Erinnerung an die Toten am Leben zu erhalten.
Dass gilt zum einen für die vielen Schwulen, die hier begraben wurden – darunter auch Manfred Salzgeber, Gründer der Berlinale-Sektion Panorama und des gleichnamigen Filmverleihs und Rio Reiser, der selbsternannte König von Deutschland – aber auch für die Kinder und Babys, die im so genannten Garten der Sternenkinder begraben liegen. Dieser Garten gibt dem Film seinen Namen, einer mittellangen Dokumentation, der es auf überzeugende Weise gelingt, die Arbeit von Bernd Boßmann, aber auch die besondere Atmosphäre des Alten St.-Matthäus-Friedhofs einzufangen.
Klassisch dokumentarisch sind dabei Szenen mit Boßmann, wie er in seinem Café arbeitet oder über den Friedhof spaziert, Szenen, die durch Aufnahmen von Boßmanns künstlerischer Arbeit ergänzt werden, vor allem Auftritte mit diversen Theater- und Travestiegruppen, aber auch Ausschnitte unter anderem aus Filmen von Rosa von Praunheim, in denen Boßmann mitspielte.
Eingerahmt werden diese dokumentarischen Momente durch poetische Bilder des Friedhofs, der dicht bepflanzt ist und auch durch seine Hanglage zu den schönsten Berlins zählt. Während die Kamera durch den Friedhof gleitet, über prunkvolle Grabanlagen und schlichte Gräber, die Sonne durch das dichte Laubwerk scheint und eine fast mystische Stimmung erzeugt, liest die Künstlerin Zazie de Paris das Märchen „Der Gevatter Tod“ der Gebrüder Grimm. Durch ihre markante Stimme gibt sie der Geschichte über einen armen Mann, der sein 13. Kind nicht ernähren kann und einen Gevatter, einen Taufpaten sucht, den er erst im Tod findet, denn der Tod macht alle gleich, eine besondere Note, eine beglückende Tragik, die ideal zu diesem ganz besonderen Friedhof passt.
Michael Meyns