Gefangen im Netz

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"Warum sollte es mich stören, dass du erst zwölf bist?" Das sagt einer der Männer im Dokumentarfilm "Gefangen im Netz". Darin geben sich drei Schauspielerinnen in Chatforen als Zwölfjährige aus. Ein gutes Vierteljahrhundert ist das Internet inzwischen alt und längst ist klar, dass es neben vielem positiven auch enorm viele negative Auswirkungen hat. Eine davon sind die sozialen Medien, die unter anderem auch Männern die Möglichkeit geben, sich an unbedarfte, naive junge Menschen heranzumachen. Diese Form des Missbrauchs thematisieren Barbora Chalupová und Vít Klusák in ihrer erschreckenden, aber auch nicht ganz unproblematischen Dokumentation „Gefangen im Netz.“

Website: http://filmweltverleih.de/cinema/movie/gefangen-im-netz

V síti, Caught in the Net
Tschechien 2019
Dokumentation
Regie & Buch: Barbora Chalupová & Vít Klusák
Länge: 100 Minuten
Verleih: Filmwelt
Kinostart: 18. Februar 2021

FILMKRITIK:

„Cyber Grooming“ nennt sich die Masche, mit der ältere, manchmal auch sehr alte Männer versuchen, junge, meist etwas naive, oft im Umgang mit dem Internet und seinen Folgen unbedarfte junge Menschen, dazu zu bringen, intime Dinge preiszugeben. Auf den zahllosen öffentlich zugänglichen sozialen Medien treiben sich diese Männer herum, schreiben Mädchen an, verwickeln sie in Gespräche, suggerieren eine Nähe, ein Interesse, das reizvoll erscheinen mag und versuchen die Mädchen in ihrem Sinne zu lenken. Bald werden Forderungen nach Nacktbildern laut, per Videochat wird telefoniert, vielleicht sogar vor der Kamera onaniert, im extremen Fall kann es zu Treffen in der Realität kommen und dann zu Schlimmerem.

Dieser Form des Missbrauchs wollten die tschechischen Dokumentarfilmer Barbora Chalupová und Vít Klusák nachgehen und dachten sich zu diesem Zweck ein Konstrukt aus: Diverse volljährige Mädchen interviewten sie und rekrutierten schließlich drei, die jung genug wirkten, um sich als zwölfjährige ausgeben zu können. Im Studio wurden drei Kinderzimmer gebaut, auf Plattformen wie facebook, Snapchat, Skype und einigen tschechischen Seiten wurden Profile angelegt, mit Fotos bestückt und dann wurde gewartet, allerdings nicht lange: Nur Minuten nach Erstellen der Profile trudelten die ersten Nachrichten von Unbekannten ein, Männer unterschiedlichen Alters, die den Mädchen nachstellten und sie zu manipulieren versuchten.

Innerhalb von zehn Tagen traten 2458 Männer mit eindeutigen Absichten an das Trio heran und wie man in vielen teils bizarren, oft widerlichen – dankenswerterweise verpixelten – Aufnahmen sehen kann, schickten sie Nacktaufnahmen von sich, onanierten, sendeten den scheinbar Zwölfjährigen aber auch Links zu Kinder- oder Tierpornos. Immer extremer werden die Dialoge, bis die Mädchen einige der Männer sogar in einem Café treffen. Immer beschützt von Sicherheitsleuten, betreut von Psychologen und offenbar auch reif genug, um mit dem Erlebten umzugehen, aber dennoch.

Die Art und Weise wie die Regisseure ihr fraglos hehres Ziel erreichen, ist nicht unbedenklich. Unterlegt von bisweilen reißerischer Musik, ähnelt „Gefangen im Netz“ oft einer dieser TV-Reportagen bei RTL oder SAT 1, in denen investigative Journalisten Missständen auf der Spur sind, die sie allerdings erst selber provozieren, um sie dann mit der Kamera einzufangen. Ähnlich wird auch hier vorgegangen, wobei sicherlich klar ist, dass die Männer auch ohne diesen Film dann eben andere, tatsächlich minderjährige Mädchen angeschrieben hätten. Doch ob der Zweck alle Mittel heiligt ist die Frage. In der Folge der Dreharbeiten wurde das Material jedenfalls der tschechischen Polizei übergeben, die zahlreiche Ermittlungsverfahren einleitete. Das „Gefangen im Netz“ auf ein wichtiges Thema aufmerksam macht ist aller Ehren wert, auch wenn die dazu nötigen Methoden nicht ganz unproblematisch erscheinen.

Michael Meyns