Generation Kunduz – Der Krieg der Anderen

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Kunduz, Zentrum des deutschen NATO-Kontingents in Afghanistan. Seit Jahren arbeitet und dreht Martin Gerner in der Stadt, gewann das Vertrauen vieler Afghanen und legt nun mit „Generation Kunduz – Der Krieg der Anderen“ seinen ersten Dokumentarfilm vor. Und der ist ein bemerkenswerter Film, der erstaunliche Einblicke in eine Gesellschaft zeigt, die auch in den deutschen Medien oft viel zu einseitig geschildert wird.

Webseite: www.generation-kunduz.com

Deutschland 2011 - Dokumentation
Regie: Martin Gerner
Länge: 80 Minuten
Verleih: Martin Gerner
Kinostart: 15. März 2012

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

In den Blick der deutschen Öffentlichkeit geriet die nordafghanische Stadt Kunduz, als im September 2009 eine von deutschen Soldaten geführte NATO-Einheit einen Lastwagenkonvoi angriff. Taliban-Rebellen waren dabei, zwei Tanklaster anzugreifen, doch dem von einem deutschen Oberst angeordneten Raketenangriff fielen vor allem Zivilisten zum Opfer. Für die deutsche Öffentlichkeit holte dieses Desaster den Krieg wieder auf die Titelseiten zurück – zumindest für ein paar Tage. Für die afghanische Zivilbevölkerung war es sicherlich kein Tag wie jeder andere, aber auch kein besonders ungewöhnlicher. Zwischen einer mehr oder weniger korrupten Regierung, den Versuchen der Taliban, wieder an die Macht zu kommen, und dem mehr oder weniger überlegten Eingreifen ausländischer Truppen existiert die breite Masse der afghanischen Bevölkerung und versucht zu überleben.

In seinem ersten Dokumentarfilm „Generation Kunduz“ versucht Regisseur Martin Gerner genau diesen ganz normalen Menschen eine Stimme zu geben. Seit Jahren hat er als Reporter viel Zeit vor Ort verbracht, auch als Trainer und Dozent für Medien versucht, beim Aufbau einer freien, unabhängigen Presse zu helfen. Er ist also gerade kein Ausländer, der kurz in einer Krisenregion auftaucht, Bilder und Geschichten mitnimmt und möglichst schnell wieder verschwindet. Diese Nähe zu den afghanischen Menschen spürt man in jedem Moment des Films, sie machen ihn zu so einem außergewöhnlichen Dokument, dass jeder sehen sollte, der sich abseits der Mainstream-Medien ein Bild von Afghanistan machen will.

Verschiedene Protagonisten porträtiert Gerner: Angefangen beim Schuhputzjungen Mirwais, über die Journalistin Nazanin, bis zu den angehenden Filmemachern Ghulam und Khatera. Mal beobachtet er sie bei ihren beruflichen Tätigkeiten, dann lässt er sie direkt in die Kamera sprechen – von ihrem Leben, ihren Träumen und Hoffnungen, der harten Realität, der ambivalenten Sicht auf die ausländischen Truppen. Doch über weite Strecken spielt Politik, spielt der Krieg keine Rolle in „Generation Kunduz“. Da schildert Gerner eine ziemlich normale Gesellschaft, ziemlich normale junge Menschen, die ihren Tätigkeiten nachgehen, vom beruflichen Erfolg und persönlichen Glück träumen. Heimelig ist das zwar nicht gerade, dafür wirkt Kunduz zu schroff, zu archaisch, doch es ist weit entfernt von dem oftmals geradezu fatalistischen Blick, den die Mainstream-Medien oft auf Afghanistan werfen.

Wobei man Gerner keineswegs einen verklärten Blick unterstellen darf: Doch in seiner differenzierten Herangehensweise sind politische Missstände, Korruption, auch gewalttätige Anschläge nicht der das Leben bestimmende Aspekt, sondern nur ein Teil des vielfältigen, auch komplizierten Lebens in Kunduz. Mal diskutieren Frauen über die Notwendigkeit, sich mit einem Ganzkörperschleier zu verhüllen, mal erzählt ein Wahlbeobachter ganz beiläufig von der Gefahr, erschossen zu werden. Es sind Momente, in denen der Film durchscheinen lässt, wie fragil das Leben in Kunduz in vielerlei Hinsicht ist, vor allem aber auch, wie kompliziert und schwer durchschaubar das Zusammenspiel aus Stammesriten, konservativer Tradition, modernen Einflüssen ist. Und wenn selbst Afghanen das nur schwer erklären können, wie sollen das ausländische Truppen verstehen? Nicht zuletzt diese Frage steht am Ende von Martin Gerners außerordentlichem Dokumentarfilm, der zum Besten zählt, was in den letzen Jahren über diese Krisenregion zu sehen war.

Michael Meyns