Gigante

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Eine minimalistische Studie ist dieser Film aus Uruguay. Über weite Strecken von „Gigante“ spricht die Hauptfigur, der schwere Wachmann Jara kein Wort, beobachtet ihn der Film bei alltäglichen Beobachtungen und einer sich langsam entwickelnden Beziehung. In seinem zurückgenommenen Stil ein durchaus zeitgemäßer Film, dem allerdings ein wenig mehr Leben gut getan hätte.

Webseite: www.neuevisionen.de

Uruguay 2008
Regie: Adrian Biniez
Drehbuch: Adrian Biniez
Kamera: Arauco Hernandez
Schnitt: Fernando Epstein
Musik: Adrian Biniez
Darsteller: Horacio Camandule, Leonor Svarcas, Nestor Guzzii, Federico Garcia, Fabiana Charlo, Ernesto Liotti
Läange: 84 Min.
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 1. Oktober 2009

PRESSESTIMMEN:

Ein zärtlicher, amüsanter Liebesfilm ohne große Worte, auf der Berlinale unter anderem mit dem Großen Preis der Jury bedacht.
KulturSPIEGEL

FILMKRITIK:

Schwer und etwas unbeholfen wirkt Jara, Wachmann in einem Supermarkt, bei all seinen Tätigkeiten. Meist sind diese sitzend, beobachtend. Auf den Monitoren der Überwachungskameras verfolgt er das Geschehen im Supermarkt, sieht Kunden und Angestellte, die nicht ahnen, dass sie fortwährend beobachtet werden. Nach Dienstschluss trottet Jara nach Hause, geht ebenso banalen Tätigkeiten nach wie während der Arbeit und geht abends zu seinem zweiten Job. Als Türsteher in einer Disko wird er eher wegen seiner einschüchternden Größe ernst genommen als auf Grund von wirklicher Überzeugungskraft. Das einzige Anzeichen, dass es hinter der lethargischen Fassade brodeln könnte, bietet das T-Shirt einer Heavy-Metal Band, das Jara oft trägt.

Selbst als Jara auf den Überwachungsmonitoren die neue Putzfrau Julia sieht und sich sofort in sie verguckt, kann er nicht aus seiner Haut. Viel zu lange hat er sich eine Existenz zurechtgelegt, die auf möglichst wenig zwischenmenschlichem Kontakt basiert. Umso schwerer fällt es ihm nun, sich der Auserwählten zu nähern. Was ihm bleibt sind die Monitore, die ihn in eine Gott-gleiche Position versetzen. Wenn er sieht, dass Julia von einem Kollegen dumm angemacht wird, drückt er den Feueralarm; als er beobachtet, wie Julia Ärger mit dem Chef hat, warnt er sie vor dessen Auftritten. Bald verfolgt Jara Julia auch nach Dienstschluss, beobachtet ihr Leben, agiert als eine Art Schutzengel, der vom Subjekt seiner Dienste allerdings nicht wirklich wahrgenommen wird. Dass es schließlich doch zu einer Eskalation der Ereignisse kommt, das all die aufgestauten Emotionen schließlich doch aus Jara ausbrechen, ist unausweichlich, doch bis dahin lässt sich Regisseur Adrian Biniez sehr viel Zeit.

Er macht das geschickt, mit viel Gespür für genaue Beobachtungen und kleine Gesten. Er sucht nicht die grobe komische Situation, sondern den fein beobachteten, immer leicht melancholischen Humor a la Aki Kaurismäki oder Jim Jarmush. Doch es ist ein schmaler Grad, den Biniez in seinem Debütfilm geht. Ein Grad, den auch die großen Vorbilder nicht immer erfolgreich gehen. Auf Dauer reicht es eben nicht aus, auf lakonische Weise einen Ritter der traurigen Gestalt zu beobachten, ihn durch betont banale Ereignisse zu schicken, die sich mit leichten Variationen entwickeln. Irgendwann muss etwas passieren, muss sich die Situation zuspitzen. Zwar gibt es auch in „Gigante“ eine Art Finale, wirklich zwingend ist es aber nicht.

Der Minimalismus in Inhalt und Form, dem Biniez hier folgt, ist eines der momentan beliebtesten Stilmittel des Weltkinos und hat auch in Lateinamerika Fuß gefasst. In den letzten Jahren fanden etliche der spartanischen Charakterstudien aus Argentinien oder eben Uruguay den Weg in unsere Kinos. Auf Dauer aber muss man sich doch fragen, wohin dieser Stil führen soll. Mit scheinbar wenig viel zu erzählen ist aus offensichtlichen Gründen schwierig, Adrian Biniez gelingt dieses Kunststück gut, aber nicht so gut, dass es in zukünftigen Filmen da nicht Luft nach oben gäbe.

Michael Meyns

Jara ist nicht gerade ein Beau, eher dicklich, riesig. Und meistens einsam. Er arbeitet als Wachmann in einem großen Supermarkt. Vom Überwachungsraum aus kontrolliert er mit vielen Monitoren die Abläufe. Abends hilft er manchmal als Türsteher in einer Disco aus. Wenn er Zeit hat, löst er Kreuzworträtsel. Ansonsten führt er mit Hilfe des Fernsehers und einer ärmlichen Wohnung ein Arbeiter-, ein Durchschnittsleben.

Eines Tages beobachtet er mit dem Monitor unter den Putzfrauen des Supermarktes eine Neue. Und nicht nur das, sie ist noch dazu schön. In Jara regt sich etwas. Er spürt mit der Zeit Verliebtsein. Julia heißt die Frau. Wie aber soll sich der schüchterne, diskrete, verklemmte Jara dem Objekt seiner Begierde nähern?

Aus der Ferne folgt er ihr immer wieder. Ohne Erfolg. Sie spaziert in der Stadt (Montevideo) herum, shoppt, chattet im Internet-Shop, fährt im Bus davon nach Hause. Sie trifft ein Blind Date.

Als sie diesen Treffpunkt wieder verlässt, nützt Jara das sofort aus. Er befragt den Blind-Date-Mann, um über Julia einiges zu erfahren. Schon wieder ein Stück weiter.

Im Supermarkt vereitelt er eine Anzeige, als Julia etwas mitgehen lässt. Als ein Kerl sich an sie heranmachen will, löst er die Sprinkleranlage aus. Jara will mit allen Mitteln und unter allen Umständen dafür sorgen, dass ihm keiner und nichts dazwischen kommt.

Dann wird Julia zusammen mit ein paar anderen entlassen. Für Jara ist das der Katastrophenfall. Er muss nun unbedingt etwas Verrücktes tun, um ebenfalls entlassen zu werden – und endlich bei ihr zu landen.

Kein Wunder, dass der Film auf der diesjährigen Berlinale den Großen Preis der Jury erhielt. Es ist ein äußerst sensibles, in seinem Rhythmus sowie in der Konzentration auf die
Hauptfigur klug ausgedachtes Stück. Jaras Verhalten ist gleichzeitig unbeholfen und witzig. Die lange unerreichbare Julia wird schließlich doch der Lohn sein für sein unermüdliches, zielstrebiges, oft umständliches, gar nicht unrealistisches und am Schluss belohntes Bemühen.

Eine geglückte künstlerische Leistung des Autors und Regisseurs Adrian Biniez.

Der Theaterschauspieler Horacio Comandulle verkörpert diesen Jara fabelhaft.

Thomas Engel