Gloria – Das Leben wartet nicht

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So ausgelassen feierte das Berlinale-Publikum noch selten einen Film wie vor 6 Jahren „Gloria“. Den gesamten Abspann hindurch wurde zum Titelsong von Umberto Tozzi stehend applaudiert. Nun präsentiert der Chilene Sebastián Lelio das US-Remake seiner umwerfenden Frauenpower-Feel-Good-Komödie. Statt „Bären“-Gewinnerin Pauline García übernimmt Julianne Moore die Rolle der resoluten Titelheldin, passend zur cineastischen Cover-Version singt diesmal Laura Branigan den Ohrwurm. Die Story ist geblieben, wenngleich sie nun in Los Angeles spielt. Die geschiedene Gloria will ihrem langweiligen Leben ein bisschen Lust und Liebe abtrotzen. Der elegante Rodolfo wäre der ideale Kandidat für eine Romanze, doch der heiße Liebhaber entpuppt sich als wahrer Waschlappen. Wie beim Original wird das Publikum schnell zum willigen Komplizen, liebt und leidet mit dieser charmanten Heldin heftig mit.

Webseite: squareone-entertainment.com

USA / Chile 2018
Regie: Sebastián Lelio
Darsteller: Julianne Moore, John Turturro, Michael Cera, Caren Pistorius
Filmlänge: 102 Minuten
Verleih: Square One Entertainment / DCM
Kinostart: 22. August 2019

FILMKRITIK:

„Never can say goodbye“ dröhnt in der Disco und Gloria kann sich tatsächlich nur schwer von der Tanzfläche verabschieden. Hier tanzt der Bär für die geschiedene Frau um die 60, deren Leben sonst eher langweilig ausfällt. Die Telefonate mit den erwachsenen Kindern scheitern stets am Anrufbeantworter. Der psychopatische Nachbar bringt sie um den Schlaf und auch jene Nacktkatze nervt, die sich chronisch in die Küche schleicht. Die Lachseminare sorgen auf Dauer auch nicht für viel Frohsinn. Als willkommener Lichtblick erweist sich da der Flirt mit der charmanten Disco-Bekanntschaft Arnold (John Turturro), einem ehemaligen Marineoffizier, der gleichfalls geschieden ist.

Das Duo versteht sich blendend, wären da nicht immer wieder die Anrufe von Arnolds Ex-Frau oder dessen Tochter, die die Idylle trüben. Mit dem spontanen Versenken des störenden Handys im Weinglas setzt Gloria zwar kurzfristig Prioritäten beim intimen Dinner. Doch ihr galanter Ex-Offizier und Gentleman erweist sich immer öfter als Waschlappen. Sei es, dass er sie vor seiner Tochter schamvoll verschweigt. Oder dass er einfach klammheimlich bei einer Familienfeier verschwindet. Gloria reißt langsam die Geduld mit Arnolds ewigen Ausreden oder dem chronischen Krach vom kiffenden Nachbarn. Während sie dem einen kurzerhand die Gras-Vorräte stibitzt, stattet sie dem anderen einen Besuch ab, bei dem sie den Paintball-Fan mit dessen eigenen Waffen schlägt.  

Wie schon das Original hält auch die Cover-Version mit pfiffiger Cleverness und lässigem Charme die Balance zwischen Melancholie und Komik. Mit wenigen eleganten Federstrichen werden die Figuren psychologisch präzise gezeichnet, ohne sich je in Klischees zu verheddern. Wie zuletzt bei seinem mit dem Oscar prämierten Melodram „Eine fantastische Frau“ erweist sich das chilenische Regie-Talent als glänzender Geschichtenerzähler, der die Leidenswege seiner gepeinigten Heldinnen mit großem Einfühlungsvermögen schildert – und sie als Stehauf-Frauchen am Ende triumphieren lässt.

In die „Gloria“-Fußstapfen der grandiosen Pauline Garcia zu treten, scheint eine schier unmögliche Aufgabe. Da kann es eigentlich nur eine geben – und Julianne Moore enttäuscht auch diesmal nicht. Die charismatische Oscar-Preisträgerin hat hinter der großen Brille sichtliches Vergnügen an dieser Figur, die sie perfekt zwischen Zerbrechlichkeit und Stärke zelebriert. Wenn sie in ihrem Auto aus vollem Herzen „A Little More Love“ von Olivia Newton John mitträllert, dürfte sich im Kino ein bisschen Berlinale-Stimmung von einst breitmachen.

Dieter Oßwald