Green Book – Eine besondere Freundschaft

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Die stärksten Storys schreibt bekanntlich das Leben. So wie diese um einen latent rassistischen Einfaltspinsel, der in den 60er Jahren als Chauffeur für einen sehr gebildeten, schwarzen Musiker anheuert. Die Tour führt in den tiefsten Süden der USA - und die Abgründe der alltäglichen Diskriminierung. Aus dem ungleichen Duo werden alsbald ziemlich beste Freunde. In diese Freundschaft eingeschlossen wird auch der Zuschauer. Die beiden Helden haben durchaus ihre Ecken und Kanten. Ihrem unheimlichen Charme wird man freilich kaum widerstehen. Ebenso wenig der warmherzigen Botschaft. In zynischen Zeiten von Hass und Häme, werden humanistische, bewegende Filme zu publikumsträchtigen Leuchttürmen auf der Leinwand. Vergnüglichstes Arthaus-Kino in Bestform!

Webseite: www.entertainmentone.com

USA 2018
Regie: Peter Farrelly
Darsteller: Viggo Mortensen, Mahershala Ali, Linda Cardellini, Don Stark, P.J. Byrne
Filmlänge: 130 Minuten
Verleih: Entertainment One Germany GmbH, Vertrieb: Fox
Kinostart: 31.1.2018

FILMKRITIK:

Wir können auch anders, dachte sich Regisseur Peter Farrelly, dem gemeinsam mit Bruder Bobby vor zwanzig Jahren der ganz große Comedy-Coup „Verrückt nach Mary“ gelang. Die derben „Dumm und Dümmer“-Späße sind vorbei, auch der Bruder fehlt aus familiären Gründen diesmal auf dem Regiestuhl. Sein Solo-Debüt widmet Farrelly einer wahren Geschichte aus den 60er Jahren. Der sonderbare Titel verweist auf ein beschämendes Zeitdokument des alltäglichen Rassismus: „Green Book“ hieß einst jener bis 1966 jährlich erscheinende Reiseführer für Afroamerikaner, der Unterkünfte in den USA empfahl, in der auch Schwarze geduldet waren.
 
Dem Italo-Amerikaner Tony Lip (Viggo Mortensen in einer Glanzparade) macht keiner so schnell etwas vor. Mit kleinen Tricks verschafft er sich zielsicher das Wohlwollen einflussreicher Gäste in jenem Club, in dem er als Türsteher tätig ist. Resolutes Auftreten oder ein paar Faustschlägen sorgen bei weniger wichtigen Gäste für Respekt. Als der Club vorübergehend schließt, braucht Tony dringend einen neuen Job. Wie passend, dass Doktor Shirley gerade einen Chauffeur sucht. Etwas verwundert reagiert der Ex-Türsteher, als das Vorstellungsgespräch in der Carnegie Hall stattfinden soll. Noch mehr verblüfft ihn, dass es sich um gar keinen Mediziner handelt, sondern um den Star-Pianisten Dr. Don Shirley (Mahershala Ali). Ausgerechnet Tony soll für einen Afroamerikaner arbeiten? Hat er doch gerade noch in seinem Haus die benutzten Gläser der schwarzen Handwerker angewidert im Müll entsorgt. Doch zweitens ist der Lohn verlockend. Und erstens drängt Gattin Dolores ihn zum neuen Job – da hat der italienische Macho keine Wahl.    
 
Dem ungleichen Duo steht eine zweimonatige Konzerttour durch den tiefsten Süden bevor. Die türkisfarbene Limousine wird schnell zum Schauplatz diverser Scharmützel zwischen dem ruppigen Chauffeur und seinem vornehmen Fahrgast- „Macht keinen Spaß, so klug zu sein!“, quittiert Tony die nachdenkliche Art von Don. Umgekehrt nimmt er gerne dessen Hilfe an, wenn es um poetische Liebesbriefe an Dolores geht. Mit jedem zurückgelegten Kilometer finden die beiden ein bisschen näher zueinander. Und wehe, seinem Schützling drohen rassistische Rowdys Prügel an oder Cops zücken die Handschellen – dem Chauffeur ist nichts zu schwer. Gegen die strukturelle Diskriminierung kann freilich auch Toni nichts ausrichten. Seien es die vornehmen Gastgeber, die ihrem Konzertstar die Toilette im Haus vorweigern. Kleidergeschäft, wo Schwarze ihre Anzüge nicht anprobieren dürfen. Oder ein Nachtfahrverbot für Afroamerikaner. Don Shirley lässt sich von all den Schikanen nicht beeindrucken: „Würde siegt immer!“ lautet seine Parole. Bisweilen freilich kann auch ein Anruf bei Kennedy höchstpersönlich nicht schaden.  
 
Regisseur und Koautor Peter Farrelly gelingt mit diesem warmherzigen, lakonisch komischen Antirassismus-Drama ein Film mit Klassiker-Qualitäten. Das ungleiche Paar ist psychologisch plausibel und ebenso pointenstark entwickelt. Mahershala Ali („Moonlight“) verleiht dem sensiblen Pianisten charismatischen Glanz. Derweil Viggo Mortensen als gutherzige Quasselstrippe dem Affen mit sichtlichem Vergnügen reichlich Zucker geben darf. Intellektuell mag das Arbeiterkind aus der Bronx kaum glänzen. Was Haltung und Werte anlangt, stellt er sie alle mit nonchalanter Selbstverständlichkeit in den Schatten: Die bigotten Bonzen in ihren feinen Villen. Die homophoben Cops. Die ehrenwerten Ladenbesitzer mit diskriminierendem Geschäftsmodell. Rasse, Bildung und Klasse sind für Toni keine Hürden. Zumindest keine, die von dem leidenschaftlichen Food-Fan mit einem Kentucky Fried Chicken-Menü nicht überwunden werden könnten. 
 
Politisches Aufklärungskino, das ausgesprochen vergnüglich und bewegend ausfällt: Nie war es so wertvoll wie heute.
 
Dieter Oßwald