Green Border

Zum Vergrößern klicken

Das, was an Europas Außengrenzen passiert ist ein Skandal, doch wer ins Kino gehen muss, um das zu verstehen, dem ist ohnehin nicht helfen. Aus ästhetischer Perspektive liegt hier das Problem von Agnieszka Hollands „Green Border“, der in mal dokumentarischen, mal stilisierten Bildern zeigt, was an der polnisch-belarussischen Grenze passiert, der fraglos berührt, aber auch manipuliert, der das ist, was gerne als „wichtiger Film“ bezeichnet wird.

Zielona granica
Polen/ Frankreich/ Tschechien/ Belgien 2023
Regie: Agnieszka Holland
Buch: Maciej Pisuk, Gabriela Łazarkiewicz-Sieczko, Agnieszka Holland
Darsteller: Jalal Altawil, Maja Ostaszewska, Behi Djanati Atai, Mohamad Al Rashi, Dalia Naous, Taim Ajjan, Talia Ajjan, Tomasz Włosok

Länge: 157 Minuten
Verleih: Piffl
Kinostart: 1. Februar 2024

FILMKRITIK:

Oktober 2021. Eine syrische Familie sitzt im Flugzeug nach Minsk, der Hauptstadt von Belarus. Dessen autokratischer Herrscher Lukaschenko hat den Hilfssuchenden versprochen, dass sie von hier aus nach Polen weiterreisen können und damit in die EU. Eine Lüge, wie sich schnell herausstellt, denn die Flüchtlinge, unter ihnen die afghanische Übersetzerin Leila (Behi Djanati Atai), stranden bald in einer Art Niemandsland zwischen Polen und Belarus, werden von den jeweiligen Grenzbeamten hin und her geschoben und harren in Kälte und Nässe auf Rettung.

Die könnte durch freiwillige Helfer erfolgen, zu denen Aktivisten wie Marta (Monika Frajczyk) und Zuku (Jasmina Polak) erfolgen, die im Grenzgebiet agieren, aber nur sehr vorsichtig. Denn wenn sie den Flüchtlingen aktiv helfen, sie etwa im Auto mitnehmen würden, würden sie sich strafbar machen. Eine Situation, die Julia (Maja Ostaszewska), eine Psychologin, die gerade in die Gegend gezogen ist, nicht mehr ertragen kann. Sie entwickelt sich zur radikalen Aktivistin, die das Elend nicht mehr nur verwalten möchte, sondern Flüchtlingen aus Afrika bewusst zu einem Ausweg verhelfen will.

Ebenfalls ortsansässig sind Jan (Tomasz Włosok) ein polnischer Grenzsoldat und seine schwangere Frau Kasia (Malwina Buss), die realisiert, zu welchen unmenschlichen Handlungen ihr Mann gezwungen wird. Im Extremfall müssen Jan und seine Kameraden an der Grenze gestorbenen Flüchtlinge über den Stacheldrahtzaun zurück ins Nachbarland schmeißen, um den Papierkram sollen sich dann die anderen kümmern.

Grün ist die Hoffnung, heißt es, doch grün ist nur einmal zu sehen, ganz am Anfang von Agnieszka Hollands „Green Border“: Da schwebt die Kamera hoch über den Bäumen der grünen Grenze zwischen Polen und Belarus, dann verschwindet die Farbe und wird von harschen schwarz-weiß Bildern ersetzt, die dem Elend an der europäischen Außengrenze angemessen erscheinen. In fünf Kapiteln nähert sich Holland einer humanitären Katastrophe, zeigt Menschlichkeit auf beiden Seiten und weicht auch nicht vor Abgründen und Darstellungen von Ausbeutung und Rassismus zurück.

Dem Kern des Problems, den Fluchtursachen, einer Lösung, die nicht nur dem Anspruch auf Asyl gerecht wird, sondern auch den zum Teil berechtigten Sorgen vor Migration in Europa, kann sich ein Film, auch ein zweieinhalb Stunden langer, allerdings kaum nähern. Wenn da zum Ende von „Green Border“ einige afrikanische Flüchtlinge gerettet werden oder die syrische Familie erschöpft am Straßenrand sitzt, über ihnen ein Graffiti des EU-Logos, dann sind das zwar berührende Momente, die aber vor allem als Agitationskino funktionieren.

Welchen Zweck Filme wie „Green Border“ erfüllen, über die Bestätigung von moralischer Empörung hinaus, darüber ließe sich lange streiten. In Polen war Hollands Film jedenfalls ein Kassenschlager, hat die damals noch regierende rechtspopulistische PiS-Regierung empört und vielleicht sogar ein klein wenig zu deren Niederlage bei den Wahlen beigetragen. Das wäre ein kleiner Erfolg eines Films, der Missstände aufzeigt, aber zwangsläufig daran scheitert, wirklich umsetzbare Lösungsvorschläge zu machen. Das ist von einem Spielfilm zwar auch nicht zu erwarten, doch dadurch bleicbt „Green Border“ nicht weniger, aber auch nicht mehr als Agitationskino.

 

Michael Meyns