Greenberg

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Ben Stiller, als harmloser Spaßvogel im Mainstreamkino eine feste Größe, kann auch ganz anders. Und das kann er gut. In Noah Baumbachs Drama "Greenberg" ist Stiller kaum wiederzuerkennen. Hager, mit strubbeligen Haaren und verbiestertem Gesichtsausdruck spielt er einen Mann Anfang 40, der in einer tiefen Lebenskrise steckt. Roger Greenberg, so sein Name, grübelt über die Vergangenheit nach, hat keine Vorstellung von der Zukunft und ist genervt von der Gegenwart. Seiner nicht eben sympathischen Figur verleiht Stiller eine eindringliche Präsenz. Für die etwas heitereren Momente sind diesmal andere zuständig.

Webseite: www.tobis.de

USA 2010
Buch und Regie: Noah Baumbach
Kamera: Harris Savides
Darsteller: Ben Stiller, Greta Gerwig, Rhys Ifans, Jennifer Jason Leigh
Filmlänge: 107 Minuten
Verleih: Tobis
Kinostart: 1. April 2010

PRESSESTIMMEN:

...eine im Detail sehr präzise gearbeitete Charakterstudie mit abgründigem Witz (...) und Ben stiller erweist sich einmal mehr als einer der interessantesten Schauspieler seiner Generation. Sehenswert.
Tip Berlin

FILMKRITIK:

"Greenberg" ist kein Film, der zum wiederholten Mal die Untiefen des Lebens angejahrter Großstadt-Singles auslotet. Es ist ein Film über das Leben in der Möglichkeitsform und die schmerzlichen Schatten der Vergangenheit, die Menschen aus der Bahn werfen. Was genau Roger Greenberg widerfuhr, erfährt man nicht. Aber dass es etwas Gravierendes war, wird sofort klar, wenn man Greenberg im Haus der Familie seines Bruders in Los Angeles herumstiefeln sieht, das er während deren Urlaubsreise hüten soll. Er wirkt wie ein Fremdkörper, nicht nur weil ihm das Haus nicht vertraut ist, sondern weil ihm das Leben fremd geworden ist. Andere Menschen scheint er wie seltsame Insekten zu betrachten, denen man besser ausweicht. Kommunikation betreibt er vornehmlich, indem er Beschwerdebriefe an Starbucks und andere Firmen schreibt, über die er sich ärgerte. Das wirkt nicht spleenig, sondern vor allem traurig.

Nur gut, dass Florence (Greta Gerwig), das "Mädchen für alles" der Familie seines Bruders, die praktischen Dinge für Roger regelt. Bei ihrer ersten Begegnung spielt er Florence Albert Hammonds "It never rains in southern California" vor, in der Überzeugung, dass jeder dieses tolle Lied kennt. Aber Florence zuckt nur mit den Schultern. Sie ist 15 Jahre jünger als Roger und nicht mit Albert Hammond im Ohr aufgewachsen. In diesem Moment prallen Gegenwart und Vergangenheit aufeinander, und dies wird sich in Begegnungen Rogers mit alten Freund- und Liebschaften wiederholen. Seine Ex-Freundin Beth (Jennifer Jason Leigh) etwa kann sich kaum an die Dinge erinnern, für die Roger sich entschuldigt. Sie führt ein erwachsenes Leben, während er sich in der Endlosschleife seiner Erinnerungen aufhält und mit Vorliebe "vor allem nichts macht", wie er sagt.

Die Zeitgrenze zwischen Roger und Florence ist ihr Altersunterschied. Dass die beiden ziemlich schnell zusammen im Bett landen, ist überraschend. Es wirkt allerdings so, als seien da zwei übereinander gestolpert und aufeinander gelandet. Mehr ein Versehen also. Doch es gibt Gemeinsamkeiten. Florence weiß ebenfalls nicht, welche Richtung sie im Leben einschlagen soll und versucht sich wie Roger früher als Musikerin. Und sie ahnt wohl, dass der störrische Sonderling ein Seelenverwandter ist. Bei Roger darf man Ähnliches vermuten. Er scheint in den Spiegel seiner eigenen jungen Jahre zu blicken, wenn er Florence sieht.

Für die Balance des Films ist Florence, stark gespielt von Greta Gerwig, unerlässlich. Mit ihrem warmherzigen, hellen Gemüt bewahrt sie beim Zuschauer den Glauben, dass es niemals regnet in Südkalifornien. Und vielleicht ist es auch gut für ihren Gegenpart, der stoisch auf Kollisionskurs mit der Welt und sich selbst ist. Nach der Premiere von "Greenberg" während der Berlinale erzählte Ben Stiller, er sei ein ganz schlechter Witzeerzähler, weil er sich Witze nicht merken könne. Wer den Film gesehen hat, glaubt ihm aufs Wort.

Volker Mazassek

Roger Greenberg ist 40 – also obligatorische Midlife Crisis. Doch nicht nur das. Er ist insgesamt ein passiver Charakter, sagt sich, dass er nichts falsch machen kann, wenn er gar nichts macht. Und so lebt er denn auch. Für seinen geistigen und seelischen Zustand ist das nicht gerade nützlich. Er hängt nur herum, ist im Grunde das, was man einen Verlierer nennt.

Sein Bruder verreist mit seiner Frau nach Vietnam, also passt Roger nach einigen Jahren Abwesenheit in Los Angeles auf deren Haus und auf den Hund auf, der auf den Namen Mahler hört.

Ist das geeignet, ein wenig Schwung in sein Leben zu bringen? Nein. Roger Greenberg ist jedoch nicht nur passiv, sondern oft auch unvermittelt aggressiv. Offenbar eine schwer kontrollierbare, krankhafte Charaktereigenschaft. Deshalb tut er sich mit den Freunden von früher schwer, mit Ivan beispielsweise, mit dem er einst in einer Band spielte. Ivan hat nun Frau und Kind. Es gibt mehrere Versuche, wieder zusammen zu kommen, doch es klappt nicht. Trennung.

Oder Beth. Sie war einmal Rogers Freundin. Jetzt ist sie verheiratet, hat Kinder. Es gibt ein, zwei Treffen, aber keine Gefühle mehr. Trennung.

Anders ist es mit Florence, einer Angestellten seines Bruders, die sich während dessen Abwesenheit ebenfalls im Haus nützlich macht. Florence ist jung, schön, aber unerfahren. Sie lebt ziemlich orientierungslos, eher an der Oberfläche. Roger und Florence ziehen sich an, stoßen sich ab, streiten sich, versuchen sich zu lieben. Ein Kampf, der lange unentschieden bleibt. Doch daraus dürfte schließlich etwas werden.

Ein Berlinale-2010-Wettbewerbsfilm, doch ohne Auszeichnung. Man muss Interesse und etwas Geduld aufbringen. Trotzdem: Er ist psychologisch nicht ohne. Es gibt viele Menschen in diesem Zustand. Deshalb kann man dem Film eine gewisse Wirklichkeitsnähe bescheinigen. Und noch etwas. Ben Stiller ist bisher meist aus mehr oder minder trivialen, wenn auch erfolgreichen Komödien bekannt. Hier spielt er diesen Charakter des Roger Greenberg hervorragend. Wirklich hervorragend.

Thomas Engel