große Passion, Die

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Ganz im Stil des Direct Cinema wirft Regisseur Jörg Adolph mit seinem epischen Dokumentarfilm „Die große Passion“ einen Blick hinter die Kulissen der legendären Oberammergauer Passionsspiele. Im Mittelpunkt des bayerischen Bibelspektakels steht Christian Stückl, ein glühender Theatermacher mit unbändiger Spielfreude. Nicht zuletzt durch seine charismatische Ausstrahlung gelingt es das Faszinosum dieses sinnlichen Vitaltheaters zwischen Kommerz, Kitsch und Kunst, Provinz und weiter Welt in seiner ganzen Wucht auf die Leinwand zu bannen.

Webseite: www.passion-derfilm.de

Deutschland 2011
Regie: Jörg Adolph
Kamera: Daniel Schönauer
Schnitt: Anja Pohl
Darsteller: Christian Stückl, Otto Huber, Stefan Hageneier, Frederik Mayet, Andreas Richter, Carten Lück, Martin Norz, Eva-Maria Reiser, Barbara Dobner, Christian Bierling, Stephan Burkhart, Ursula Burkhart, Andrea Hecht, Ignaz Schön, Arno Nunn, Sebastian Mützel
Länge: 144 Minuten
Verleih: if Cinema
Kinostart: 17.11.2011

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Der imaginäre blaue Vorhang auf der Leinwand teilt sich langsam. Dahinter erscheint Stück bayerischer Bilderbuchlandschaft. Weißblauer Himmel über saftig grünen Wiesen und majestätischen Gipfeln. Auftritt: Oberammergau, ein touristisches Kleinod. Das am Fuße des Kofel-Bergmassivs gelegene 5000 Seelendorf wurde zum Sinnbild des volkstümlich barocken Katholizismus – archaisch-kraftvoll für die einen, reaktionär für andere. Denn im Pestjahr 1633 gelobten die Einwohner von Oberammergau feierlich, regelmäßig ein Passionsspiel aufzuführen. Und das tun sie immer noch alle zehn Jahre. Und während das berühmteste Dorf der Welt die größte Geschichte aller Zeiten spielt blickt zum ersten Mal ein Dokumentarfilm hinter die Kulissen des legendären Bibelspektakels.

Angefangen von den ersten Vorbereitungen bis zur letzten Aufführung, zwei Jahre später im Herbst vorigen Jahres, ist Filmemacher Jörg Adolph und seine Crew dabei. Drei Jahre Drehzeit, mehr als 300 Stunden Material, verdichtet der 43jährige mit seiner genialen Cutterin Anja Pohl auf knapp zweieinhalb Stunden. Schon allein die epische Breite macht bewusst, was den Oberammergauern die Passion bedeutet: nämlich alles, und das von Kindesbeinen an. Zu sehen, wie sehr sie ihr ganzes Leben danach ausrichten, fasziniert. Der Wirtschaftsfaktor samt erfolgreichem Marketing spielt dabei sicher eine Rolle. Auch der Film macht keinen Hehl daraus.

Denn zwei Jahre vor der Premiere 2010 plagen die Oberammergauer massive Geldsorgen. Die Gemeinde ist mit 23 Millionen Euro verschuldet. Das sechsstündige Passionsspiel soll zwar die Haushaltskasse sanieren, kostet aber auch Millionen in der Herstellung. Doch die Seele und der Motor dieses Gemeinschaftsphänomens von erstaunlicher Kraft, das den Zuschauer mit der Einheit von Leben und Kult konfrontiert, ist freilich Spielleiter Christian Stückl. Der 48jährige ist ein Naturtalent, ein Theatertier, im besten Sinne unverbildet. Weder hat Stückl studiert noch sich je hochgedient an einer Bühne. Abseits von den Theatermetropolen und ihren Moden begann der Intendant des Münchner Volkstheaters als Autodidakt mit einem instinktiven Gespür für alles Szenische.

Bereits mit 27 Jahren übernahm der Sohn eines einheimischen Gastwirts in Oberammergau erstmals die Leitung.Schon damals versucht der gelernte Holzbildhauer das Bibelspiel von überkommenem Ballast zu befreien. Er polarisiert. Und hat Jahre später Erfolg. In der neuen Textfassung, die Stückl dann durchsetzt, ist Jesus nicht mehr bloß der leidende Schmerzensmann, sondern ein aktiver Widerständler und streitbarer Prophet. Wenn Jesus auf einem Esel in Jerusalem einreitet und von der Menge mit begeistertem „Hosianna“ empfangen wird, zeigt sich Stückl als Meister der Massenchoreografie wie Max Reinhardt vor knapp 100 Jahren. Die fließend bewegten Volksszenen in ihrer starken Farbigkeit – das Volk trägt Blau und Grau, der Hohe Rat Safrangelb, die Römer-Besatzung martialisches Schwarz und die Apostel gedecktes Weiß – ziehen einen in Bann.

„Das Stück ist schon auch eine große Liebeserklärung, eine große Hommage an Christian Stückl“, sagt Adolph. „Wie er es schafft, diese mehr als 2000 Mitwirkenden zu bewegen, das ist unglaublich.“ Außerdem inszeniert Stückl kraftvoll, sinnlich, aus einer unbändigen Spielfreude heraus. Da ist nichts glatt, poliert und geleckt. Mit den Laiendarstellern reist er zur Einstimmung nach Israel, den Jesus-Darsteller lässt er im amerikanischen Bibel-TV auftreten, um den Kartenverkauf anzukurbeln, mit Vertretern jüdischer Organisationen gilt es, sich über zeitgemäße Darstellung des Glaubens zu verständigen und bei Streitigkeiten im Gemeinderat kämpft er mit offenem Visier. Wie der leidenschaftliche Theatermacher mit einer jahrhundertealten Tradition und den Herausforderungen der Realität eines bayerischen Dorfes ringt und sich dabei souverän schlägt, das trägt und macht den Film spannend.

Regisseur Jörg Adolph spannt den großen chronologischen Bogen von der ersten Bekanntmachung über das „Casting“ und die Proben bis zu den mehr als 100 Aufführungen. Beschränkt auf die Rolle des Beobachters gibt es in seinen Filmen keine Interviews – ebenso wenig Erzählungen oder Kommentare aus dem Off. Seine Dokumentationen leben vielmehr vom geduldigen, leisen Hinschauen. Was der gebürtige Hesse auch hier wieder macht, ist nichts weiter als Menschen zu beobachten, die leidenschaftlich und voller Sehnsucht ein Ziel verfolgen - monatelang, manchmal sogar über Jahre. „Die Idee war, dass wir die Oberammergauer für sich selbst sprechen lassen“, erklärt der Wahlmünchner. Und auch das ist ihm mit diesem filmischen Denkmal der Oberammergauer Passionsspiele Bestens gelungen. Wer sich auf dieses Ereignis der Superlative und seine kollektive Anstrengung einlässt, den schrecken auch die zweieinhalb Stunden nicht.

Luitgard Koch

Das bayerische Dorf Oberammergau im Jahre 2009. Die seit Jahrhunderten um der Rettung vor der Pest willen gelobte, alle zehn Jahre fällige Aufführung der Passion, also der Leidensgeschichte von Jesus Christus, steht erneut bevor. 2010 ist es wieder soweit.

Gezeigt wird das Geschehnis vom Palmsonntag, dem feierlichen Einzug Christi in Jerusalem, bis zur Auferstehung am dritten Tag nach der Kreuzigung.

Mitmachen darf, wer Oberammergauer ist oder mindestens seit 20 Jahren im Ort gelebt hat. Weit Über 2000 Mitwirkende gibt es vom Kleinkind bis zum Greis.

Ungeheuer, was da alles vorzubereiten ist. Nicht weniger als 16 Monate vor der Premiere beginnt es: Haare und Bärte wachsen lassen; Stoffe aus Indien für die Gewänder besorgen, das Heilige Land besuchen, um sich vorzubereiten; sich dem Papst vorstellen; proben, proben, proben; auswendig lernen, auswendig lernen, auswendig lernen; in manchen Dingen den Gemeinderat überreden; streiten; für die finanziellen Einnahmen sorgen und sich Gedanken über die Verwendung des Überschusses machen; Werbung betreiben; Interviews geben; Chorproben abhalten; Modelle für die das Spiel begleitenden „Lebenden Bilder“ herstellen; Kameras, Musik, Logistik, Infrastruktur bereit stellen; usw.

Eine Besonderheit: sich mit Vertretern Israels auseinanderzusetzen und möglichst zu einigen (was nicht gänzlich gelingt), damit ja keine Judenfeindlichkeit aufkommen kann (weil ja eine Beteiligung der Juden am Tod Christi biblisch belegt ist).

Christian Stückl ist der Regisseur, der Macher, der Alleinherrscher, der Intellektuelle, der Textumschreiber, einer, der große künstlerische (und rhetorische) Fähigkeiten besitzt – und hier sehr (ein wenig zu sehr) in den Vordergrund gerückt wird.

Aber es ist schon ein gewaltiges Schauspiel, das hier abgeht: leider leider genauso materiell, finanziell und touristisch total vermarktet wie ursprünglich religiös und fromm intendiert.

Auf jeden Fall eine informative, interessante und für den Aufgeschlossenen möglicherweise auch bewegende Angelegenheit.

Thomas Engel