Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein: Das wusste nicht nur Reinhard Mey, auch Gärtner Georg ist von der Fliegerei begeistert. Mit seinem roten Doppeldecker entflieht er gern den Sorgen, beruflich und familiär droht immer mehr der Absturz. Zwei resolute Ladies waschen dem sturen Griesgram zum Glück gehörig den Kopf. Oscar-Besitzer Florian Gallenberger kann sich bei seinem fliegenden Roadmovie quer durch die Republik auf ein exzellentes Ensemble verlassen. Allen voran Elmar Wepper, der in dieser luftigen Tragikomödie mit leinwandpräsenter Lässigkeit vom mürrischen Saulus zum empathiefreudigen Paulus mutiert. Einmal mehr präsentiert sich der einst als Serien-Mime unterforderte, von Doris Dörrie für die Leinwand schließlich wachgeküsste Schauspieler in der (Kirsch)Blüte seiner Karriere.
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D 2018
Regie: Florian Gallenberger
Darsteller: Elmar Wepper, Emma Bading, Monika Baumgartner, Dagmar Manzel, Ulrich Tukur, Sunnyi Melles,
Filmlänge: 116 Minuten
Verleih: Majestic Filmverleih / Twentieth Century Fox
Kinostart: 30. August 2018
FILMKRITIK:
„Fällt Ihnen irgendetwas auf, Herr Kempter?“, so kanzelt gleich zum Auftakt ein pampiger Bonze den erfahrenen Gärtner Georg „Schorsch“ Kempter (Elmar Wepper) ab. Das Gras für seinen Golfplatz wäre ihm nicht grün genug, beschwert er sich und droht mit Zahlungsverweigerung. Für den finanzklammen Kleinunternehmer eine weitere Hiobsbotschaft. Zu Georgs Geldsorgen gesellen sich familiäre Probleme. Die Ehefrau verhält sich sonderbar. Die Tochter möchte lieber Kunst studieren, als den Betrieb zu übernehmen. Noch immer mimt Schorsch verzweifelt den Patriarchen, „Abendbrot ist immer noch um 6 Uhr, gell!“ herrscht er die Tochter an. „Vielleicht haben wir Glück und er stürzt ab mit seinem Scheiß-Flugzeug!“ wird Miriam später der Mutter klagen.
Wenn es Probleme gibt, flieht der Gärtner gern in seinen roten Doppeldecker und fliegt den irdischen Sorgen davon. Als ein Gerichtsvollzieher den geliebten Flieger plötzlich beschlagnahmen möchte, setzt sich Schorsch spontan in seinen Kiebitz und startet den Propeller. „Einfach los geflogen ist er, der Depp“, meldet der Tower der ratlosen Ehefrau. Der tollkühne Mann in seiner fliegenden Kiste wird alsbald von einem grellen Warnton auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Sein Tank ist leer, mit einer sauberen Notladung rettet sich der Pilot auf einen Acker. Bei dessen Besitzer, einem seelenverwandten Landwirt, findet Schorsch Verpflegung, Verständnis sowie Benzin - schließlich will er mit seinem Kiebitz noch bis zum Nordkap fliegen!
Der nächste Zwischenhalt findet im Rheinland statt. Bei einem schrulligen Schlossbesitzer (Ulrich Tukur) soll mit ein paar Gartenarbeiten die Reisekasse aufgebessert werden. Dessen rebellische Tochter Philomena (Emma Bading) ist sofort fasziniert von dem schweigsamen Fremden. Der grantelt zwar zunächst wie gewohnt. Doch mehr und mehr kommt der weiche Kern unter der harten Schale zum Vorschein. Schließlich fliegt man gemeinsam nach Sylt, wo die quirlige Lesben-Oma der Adelstochter residiert. „Mit dem Leben ist es wie mit den Krankheiten. Man muss das eine oder andere durchmachen, um genügend Abwehrkräfte aufzubauen“, gibt sie dem Sturkopf auf den Weg.
Regelrecht aufblühen wird der Held bei der vierten Etappe. Nach einer Notlandung auf einem abgelegenen Flugplatz in Brandenburg, wirbelt die dortige Mechanikerin Hanna (Dagmar Manzel) die Gefühle des Gärtners gehörig durcheinander. Ganz so rosig bleibt die Romanze nicht.„Du hast eine Frau, die nicht weiß, wo du bist. Du hast einen Arsch voller Probleme und bist einfach abgehauen. Und jetzt machst du hier einen auf Latin-Lover“, klagt Hanna. Höchste Zeit für den Piloten, sein Leben auf Kurs zu bringen.
Nach dem gleichnamigen Roman des Kabarettisten und Schauspielers Jockel Tschiersch schrieb Florian Gallenberger als Co-Autor das Drehbuch gemeinsam mit Gernot Gricksch - der bisweilen als männliche Antwort auf Hera Lindt bezeichnet wird. Tatsächlich hat der einstige Filmjournalist ein gutes Händchen für publikumswirksame Stoffe. Neben „Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe“ (Bayerischer Filmpreis) stammen auch „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ oder zuletzt „Happy Burnout“ aus seiner Feder. Die Berührungsängste vor Klischees sind bei Gricksch gemeinhin gering. Durch den nordisch trockenen Humor geraten seine Geschichte indes niemals kitschgefährdet. Die Schauspieler haben sichtlich Spaß an solch augenzwinkernden Stoffen. Ulrich Tukur und Sunny Mellies etwa erweisen sich als adeliges Pärchen der exzentrischen Extraklasse - und könnten damit zugleich als Parodie durchgehen.
Regisseur Gallenberger inszeniert sein tragikomisches Märchen über unerfüllte Träume als fliegendes Roadmovie, quer durch die Republik. Die Luftaufnahmen mit dem roten Doppeldecker bieten in Cinemascope reichlich Schauwerte. Luftig geht es gleichfalls dramaturgisch zu: Clever in Episoden verpackt, kommt keine Langeweile auf.
Als großer Coup erweist sich einmal mehr Elmar Wepper, der als Grantler wider Willen zu Hochform aufläuft. Mit leinwandpräsenter Lässigkeit mutiert er vom mürrischen Saulus zum empathiefreudigen Paulus. Nach dieser Paraderolle kann man sich auf die kommende Fortsetzung von „Kirschblüten - Hanami“ seiner Entdeckerin Doris Dörrie schon jetzt freuen.
Dieter Oßwald