Hannah Arendt

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Auch wenn es keine leichte Kost ist: Es war längst überfällig, das packende Leinwandportrait über die legendäre Philosophin Hannah Arendt. Souverän stellt die versierte europäische Arthouse-Regisseurin Margarethe von Trotta ihre Zeit im New Yorker Exil und ihre Berichterstattung über den Prozess gegen den NS-Bürokraten Adolf Eichmann in den Mittelpunkt des Biopic. Herausragend verkörpert die preisgekrönte Schauspiel-Ikone des Neuen Deutschen Films Barbara Sukowa die unangepasste deutsch-jüdische Theoretikerin des 20. Jahrhunderts zwischen leidenschaftlichen Denken und Fühlen.

Webseite: www.HannahArendt-derFilm.de

Deutschland, Luxemburg, Frankreich, Israel
Regie: Margarethe von Trotta
Drehbuch: Pam Katz, Margarethe von Trotta
Kamera: Caroline Champetier
Schnitt: Bettina Böhler
Darsteller: Barbara Sukowa, Axel Milberg, Janet McTeer, Julia Jentsch, Ulrich Noethen, Michael Degen, Nicholas Woodeson, Klaus Pohl
Länge: 113 Minuten
Verleih: NFP
Kinostart: 10. Januar 2013

PRESSESTIMMEN:

Ein überragendes Spielfilmporträt.
DER SPIEGEL

FILMKRITIK:

Argentinien im Sommer 1960. Langsam fährt ein Lastwagen nachts eine einsame Schotterstraße entlang. Plötzlich springen zwei Männer aus dem Wagen. Sie zerren einen überraschten Fußgänger ins Auto. Es ist Adolf Eichmann, gefangengenommen von Agenten des israelischen Geheimdienst Mossad. Der SS Obersturmbandführer, der unter dem Namen Ricardo Klement in Südamerika untertauchen konnte, organisierte ehrgeizig die europaweite Deportation der Juden in die Massenvernichtungslager. Er war somit verantwortlich für den Mord an sechs Millionen Juden.

In ihrem New Yorker Exil beugt sich Hannah Arendt (Barbara Sukowa) beim Frühstück über die Schlagzeilen in der Morgenzeitung. „Ich würde mir das nie verzeihen, wenn ich diese Gelegenheit nicht wahrnehmen würde“, versucht sie ihrem Mann Heinrich (Axel Milberg) nach der Lektüre klarzumachen. Die leidenschaftliche deutsch-jüdische Denkerin, die selbst nur knapp den NS-Schergen entkam, schont sich nicht. Sie will dem Grauen der Nazizeit noch einmal ganz konkret begegnen, um zu verstehen. Denn endlich sollte der Cheforganisator der Deportationen in die Todeslager seine gerechte Strafe finden, sollte einer der Hauptverantwortlichen für den Massenmord an den europäischen Juden im jüdischen Staat gerichtet werden.

Als amerikanische Reporterin für das renommierte US-Magazin „ The New Yorker“ fährt sie Anfang April 1961 zum Prozess nach Jerusalem. Engagiert protokolliert die Kettenraucherin das Verfahren. Immer wieder verblüfft sie das Auftreten von Hitlers penibelsten Bürokraten. Sie kann im verschlagenen „Buchhalter des Todes“ nicht das furchterregende Monster entdecken. Der beflissene Technokrat mit der schnarrenden Stimme wirkt erschreckend harmlos. Für die aus der Normalität geborenen Gräueltaten des NS-Funktionärs, denen offensichtlich deutsche Sekundärtugenden zugrunde liegen, fehlen ihr zunächst die Worte.

Zurück in New York kämpft sie mit ihrem Material. Als Erklärungsmodell formuliert sie schließlich ihre These von der „Banalität des Bösen“. Sie erkennt im berechnenden Organisator des Holocausts, der sich beleidigt, endlos schwafelnd hinter seiner Beamtensprache versteckt, jede Verantwortung von sich weist, den autoritätshörigen Schreibtischtäter, der seine Befehle gehorsam befolgt und bestmöglich ausführen will. Doch diese Sicht auf den überzeugten Nazi bezahlt die mutige Philosophin teuer. Weltweit löst die kompromisslose Schriftstellerin damit eine Welle der Entrüstung aus. Sie wird beschimpft, geächtet, angefeindet und verliert lebenslange Freunde.

„Es war bestimmt einer der schwierigsten“, sagt Regisseurin Margarethe von Trotta, „aber auch einer der wichtigsten Filme, die ich je gemacht habe“. Ein Wagnis, das ihr freilich, gelungen ist. Immer wieder investiert die 70jährige Autorenfilmerin par excellence ihre Energie in die Fiktionalisierung deutscher Geschichte. Angefangen mit dem Portrait der Schwestern Ensslin in die „Die bleierne Zeit“ über die Lebensgeschichte der sozialistischen Heldin „Rosa Luxemburg“ bis hin zur katholischen Mystikerin Hildegard von Bingen in „Vision“.

Dabei interessiert sich die Tochter einer deutsch-baltischen Aristokratin stets für starke, unabhängige Frauen. Kein Wunder, dass die 70jährige eine Auseinandersetzung mit einer der bedeutendsten Vordenkerin des 20. Jahrhunderts, die im Mittelpunkt einer der größten politischen Kontroversen ihrer Tage stand, reizt. Allein ihr kompromissloses und unangepasstes Denken macht sie zu einer aufregenden, schillernden und einzigartigen Persönlichkeit. Für ihre couragierte Regiearbeit besetzt von Trotta erneut die Fassbinder-Darstellerin und Gewinnerin der Goldenen Palme von Cannes Barbara Sukowa in der Hauptrolle, die nicht umsonst im Universum der Regisseurin einen besonderen Platz einnimmt.
Sie ist es, die der Philosophin emotionale Tiefe verleiht, die leidenschaftliche Intellektuelle als verletzliche, liebende Frau aufscheinen lässt. Ihr mutiger schauspielerischer Balanceakte zwischen verhaltenem Zorn, aufbegehrender Rebellion, stolzer Würde und überlegener moralischer Stärke überzeugt erneut. Die Kraft, die Barbara Sukowa vermittelt, rührt oft aus einer gesunden Skepsis, die mit unbeugsamem Willen einhergeht. Durch ihre langen Jahre am Theater ist es vor allem die ausdrucksstarke Mimik der einstigen Ikone des Neuen Deutschen Films, die im Gedächtnis bleibt. Mit ihrem raschem Griff zur nächsten Zigarette und dem unruhigen Blick ihrer melancholischen Augen verdeutlicht sie Hannah Arendts inneren Aufruhr und ihre Einsamkeit.

Aber auch die eingeschnittenen Originalaufnahmen in Schwarz-Weiß vom Eichmann-Prozess prägen sich ein. Eine Entscheidung, die sich auszahlt und begreifbar macht, warum Hannah Arendt zu ihrem Urteil kam und schrieb, dass vor dieser Mittelmäßigkeit „das Wort versagt und das Denken scheitert“. Für eine auch heute noch wichtige Auseinandersetzung mit ihren Thesen liefert das Drama einen entscheidenden Beitrag. Denn das Kapitel Eichmann, dessen Aufenthaltsort in Argentinien sowohl dem Bundesnachrichtendienst als auch der CIA damals seit Jahren bekannt war, ist auch heute noch keineswegs abgeschlossen.

Luitgard Koch

Nach Margarethe von Trottas „Rosa Luxemburg“ oder „Hildegard von Bingen“ nun „Hannah Arendt“ – lehrreiche Biographien, die dem Kino gut tun.

Es geht im Wesentlichen um vier Jahre aus dem Leben der Philosophin, der Heidegger-Schülerin und –Geliebten, der Verfasserin des berühmten Buches „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen.“

Hannah Arendt war Deutsche, Jüdin, Emigrantin, schließlich amerikanische Staatsbürgerin. Sie lebte zu Beginn der 60er Jahre mit ihrem Mann Heinrich Blücher in New York. Für die Zeitschrift „The New Yorker“ fährt sie zum Eichmann-Prozess in Jerusalem.

Sie liebt ihren Mann, ihre jüdischen Freunde aus der Studienzeit, vor allem Hans Jonas und Kurt Blumenfeld, dazu ihre enge Freundin Mary McCarthy. In wichtigen Diskussionsabenden mit ihnen geht es um Politik, Judentum, Philosophie und allgemein Menschlich-Persönliches. In lebendiger Weise wird das im Film dargestellt.

Den unmittelbar miterlebten Eichmann-Prozess sieht sie kritisch. Ihr wäre ein internationales Tribunal lieber gewesen als ein rein israelisches. Sie sieht in Eichmann vor allem einen des Denkens unfähigen, sich in einer formelhaften Kanzleisprache ausdrückenden, eher dummen, untergeordneten Büttel. Sie stellt der Emotionalität des Prozesses die Forderung des objektiven Denkens gegenüber. Sie kritisiert die Kollaboration und Passivität der Judenräte.

Sie hätte vielleicht ihr Urteil in manchem korrigiert, wäre 1960 die Erforschung der Naziverbrechen so weit gewesen wie heute. Denn nun weiß man längst, dass Eichmann nicht nur Ausführender war, sondern ein Treibender, ein mörderischer Nazi, einer der führenden NS-Schwerverbrecher.

Hannahs Bericht löst in jüdischen Kreisen einen Skandal aus. Sie wird als Verräterin gebrandmarkt. Ihre Freunde wenden sich entsetzt von ihr ab. Manche Freundschaften zerbrechen für immer. Ihre Universitätsprofessur wird ihr gekündigt.

Heute fällt die Beurteilung anders aus. Ihr „Denken“, vor allem über die „Banalität des Bösen“ wird anerkannt. Sie gilt als eine wichtige Schriftstellerin und Philosophin des 20. Jahrhunderts.

Es ist sowohl biographisch als auch philosophisch eine filmisch bedeutende Produktion geworden. Margarethe von Trotta und ihr Team verdienen hohen Respekt. Sowohl künstlerisch als auch von den Aussagen her könnte man einigen Gewinn daraus ziehen.
Barbara Sukowa spielt diese Hannah als wäre sie es selber. Ein besseres Urteil ist nicht möglich. Axel Milberg (Blücher), Ulrich Noethen (Jonas), Janet McTeer (Mary), Michal Degen (Blumenfeld) und andere assistieren ihr bestens.

Thomas Engel