Hannes

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Bereits mit seinem überragenden Erstlingswerk „Hierankl“ machte Regisseur Hans Steinbichler Furore. Beeindruckend gelingt es nun dem charismatischen, bayerischen Filmemacher die unleugbare Kraft des gleichnamigen Romans von Erfolgsautorin Rita Falk (Eberhofer-Krimis) glaubwürdig und ohne Effekthascherei auf die Leinwand zu bannen. Weder pathetisch noch deprimierend meistert sein sensibles Coming-of-Age-Drama um Freundschaft, Trauer und Tod den Spagat zwischen emotional, heiterer, hoffnungsvoller Inszenierung und menschlicher Tragik. Aber auch das exzellente Schauspielensemble, allen voran die beiden Hauptdarsteller, Johannes Nussbaum und Leonard Scheicher, machen dieses berührende Erzählkino sehenswert. Nicht zuletzt der letzte Auftritt der verstorbenen Ausnahmeschauspielerin Hannelore Elsner lohnt einen Kinobesuch.

Website: https://www.studiocanal.de/kino/hannes

Deutschland 2021
Regie: Hans Steinbichler
Drehbuch: Dominikus Steinbichler
Länge: 91 Minuten
Darsteller: Johannes Nussbaum, Leonard Scheicher, Lisa Vicari, Heiner Lauterbach, Hannelore Elsner, Verena Altenberger
Verleih: Studiocanal Filmverleih
Kinostart: 25.11.2021

FILMKRITIK:

Die beiden 19-jährigen Moritz (Leonard Scheicher) und Hannes (Johannes Nussbaum) sind unzertrennliche Freunde. Schon seit ihrer Geburt, sie wurden im gleichen Krankenhaus geboren, haben sie fast alles zusammen gemacht. Als Moritz Mutter stirbt wurde Hannes Eltern zu seiner Ersatzfamilie. Doch das Duo könnte trotzdem nicht unterschiedlicher sein. Während der zupackende, lebenslustige Hannes sein Leben fest im Griff hat, ist Moritz eher der Träumer. Ständig steckt er in irgendwelchen Schwierigkeiten, die Hannes für ihn ausbügelt. Doch bei einem gemeinsamen Motorradausflug ändert sich alles.

Es ist einer dieser strahlenden Sommertage, als Hannes und Moritz voller Lebenshunger zu ihrer Tour in die Südtiroler Berge starten. Hannes steigt auf Moritz' schlampig gewartete Maschine um und rutscht damit von der Bergstraße. Äußerlich hat er keinen Kratzer. Doch er erleidet ein schweres Schädelhirntraum und fällt ins Koma. Keiner weiß, ob er je wieder aufwachen wird. Geplagt von Schuldgefühlen weicht Moritz im Krankenhaus nicht von der Seite seines Freundes.

Er will nicht aufgeben. Auf seine Art und sehr einfallsreich Hannes ins Leben zurückzuholen. Er schreibt Tagebuch für ihn, um die Erinnerungslücken zu füllen. „Ich übernehm deinen Job Hannes, solang bis du wieder aufwachst, sonst verlierst du ihn“, verrät er seinem Freund am Krankenbett. Und so kämpft er sich durch den herausfordernden Dienst als Pfleger im Heim „Vogelnest“ für psychisch Kranke. Auch wenn er der gutmütigen, gewitzten Heimleiterin und Ordensschwester Walrika (Gabriela Maria Schmeide) erst einmal einiges verschweigt.

Dass Moritz naiv eine leidenschaftliche Affäre mit der Anstaltspsychologin Dr. Redlich (Verena Altenberger) beginnt, entgeht ihr nicht. Aber auch seiner ehemaligen Grundschullehrerin Frau Stemmele (Hannelore Elsner) begegnet der junge Mann wieder. Wie er leidet die von ihrem Sohn abgeschobene Pädagogin, an Schuldgefühlen. Sie fühlt sich für den Tod ihrer Enkelin, die ertrunken ist, verantwortlich. Hilfsbereit kümmert er sich um sie. Währenddessen macht Hannes im Krankenhaus kleine Fortschritte. Und Hoffnung keimt auf.

Rita Falks erster Roman „Hannes“, fernab ihrer witzig-schrägen Eberhofer-Krimis, die inzwischen im Kino ein Millionenpublikum erobern, wurde als „zu ernst“ abgelehnt. Umso mehr freut sich die Erfolgsautorin, dass ihr persönlichstes Buch nun auf die Leinwand kommt. Mit dem charismatischen Regisseur Hans Steinbichler machte sie einen wahren Glücksgriff. Hervorragend gespielt und emotional dicht inszeniert, entstehen bei der berührenden Coming-of-Age Geschichte um Verlust, Hoffnung, Schuld und Vergebung, immer wieder wunderbare Kinomomente mit Tiefgang und Humor.

Rückblenden zeigen erfrischend jugendlichen Übermut. Und last but not least sorgt das herrlich, komödiantische Timing der verstorbenen Ausnahmeschauspielerin Hannelore Elsner für verführerische Leichtigkeit, völlig frei von Rührseligkeit. Speziell die beiden Hauptdarsteller leisten Erstaunliches. Nicht umsonst erhielt der gebürtige Wiener Johannes Nussbaum die bedeutendste österreichische Film- und Fernsehauszeichnung Romy als „Bester Nachwuchsschauspieler“ für seine Rolle in der ORF-Serie „Vorstadtweiber“. Bereits mit neun Jahren spielte das Ensemble Mitglied des Münchner Residenztheaters bei Österreichs Ausnahmeregisseur Ulrich Seidl in „Import Export“ seine erste Filmrolle.

Und natürlich gelingt die Filmbeziehung des Duos auch durch Hauptdarsteller Leonard Scheicher („Finsterworld“) glaubwürdig und intensiv. Das Thema Freundschaften und wirklich Erwachsenwerden stand für den gebürtigen Münchner bereits bei dem modernen Filmmärchen „Es war einmal Indianerland“ über den letzten Wimpernschlag der Jugend im Mittelpunkt. Schon bei seinem ersten Film „Die Quellen des Lebens“ von Oskar Röhler traf er auf das „Who is Who“ der deutschen Schauspielszene, angefangen von Moritz Bleibtreu über Jürgen Vogel bis hin zu Meret Becker.

Luitgard Koch