Hedis Hochzeit

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Der außergewöhnlich unaufdringliche und sensible tunesische Film „Hedi“ von Mohamed Ben Attia erzählt von den Träumen und Wünschen eines in familiären Konventionen feststeckenden jungen Mannes. Mit ruhigem Bildaufbau und viel Zeit für seine Figuren erzählt der Film oft nur durch kleine Gesten eine ganze Geschichte. Authentische Darsteller lassen den Alltag eines Landes im Aufbruch zwischen Tradition und Moderne so realistisch wie eine Dokumentation wirken. Ben Attia hat mit seinem Debüt bereits ein großes Werk der nordafrikanischen Filmgeschichte vorgelegt.

Webseite: www.arsenalfilm.de

OT: Inhebbek Hedi
Tunesien/Belgien/Frankreich 2016
Regie: Mohamed Ben Attia
Mit Majd Mastoura, Rym Ben Messaoud, Sabah Bouzouita, Hakim Boumessoudi, u.a.
Produktion: Jean-Pierre Dardenne, Luc Dardenne
Länge: 88 Min.
Verleih: Arsenal Filmverleih
Kinostart: 22.9.2016

Preise/Auszeichnungen/Pressestimmen:

Berlinale 2016: Silberner Bär für Ben Attia Preis für den besten Erstlingsfilm
Berlinale 2016: Silberner Bär für Majd Mastoura als bester Schauspieler

„Kraftvoll und dabei sensibel – ein emotional packender Film.
Süddeutsche Zeitung

FILMKRITIK:

Hedi (Majd Mastoura) ist ein junger, schüchterner Mann, der kurz vor der Hochzeit mit einer hübschen Frau steht. Obwohl sich die Beiden gut leiden können, wird es keine Hochzeit aus Liebe werden, denn ihre Familien haben die Vermählung organisiert. Besonders Hedis Mutter (Sabah Bouzouita) bestimmt gerne, wie die Dinge laufen. Hedi ist daran von Kindesbeinen an gewöhnt, scheint sich in der Rolle des Beschützten sogar ganz gut zu gefallen, wenn er auch eine gewisse unterschwellige Melancholie erahnen lässt. Als sein Chef ihn eine Woche vor der Hochzeit auf Dienstreise in den Touristenort Mahdia schickt, lernt er die Touristenbetreuerin Rim (Rym Ben Massaoud) kennen und sofort lieben. Hedi muss also gegen die überdominante Familie eine Entscheidung treffen, ohne, dass er darin Übung hätte.
 
Eine im Prinzip einfache, aber in Bezug auf den Wirkungsort heikle Geschichte ist es, die sich Mohamed Ben Attia, einer der führenden Intellektuellen der jungen tunesischen Demokratie, für sein Langfilmdebüt ausgesucht hat. Nachdem er für seine Kurzfilme u.a. in Cannes mit viel Vorschusslorbeeren bedacht wurde, zeigt Ben Attia mit „Hedi", warum er das verdiente. Sein Film mit einem anrührenden Protagonisten Majd Mastoura überzeugte die Wettbewerbsjury der 66. Berlinale und ließ Ben Attia den Preis für den Erstlingsfilm, sowie den Silbernen Bären für Mastoura gewinnen. Die Begründung ist: „Hedi“ zeigt den Wert von Tradition und Familie und den Problemen, die die dadurch entstandenen engen Bindungen mit sich bringen. Die Liebesgeschichte um Hedi, seine Braut und die Geliebte Rim wird damit zur Parabel für ein Tunesien, das sich der europäischen Demokratie erfolgreich öffnete, um dafür zu einer Zielscheibe reaktionärer Kräfte zu werden. Der fantastische Majd Mastoura scheint all das zu wissen, wenn er mit einem Blick, aus dem Sehnsucht und Trauer gleichermaßen sprechen, auf das Mittelmeer hinausblickt.
 
Überhaupt sind es sie Figuren die jene oft erzählte Geschichte zu etwas Besonderem machen. Hedis Mutter, gespielt von Sabah Bouzouita, mimt die entschlossene Patriarchin mit derart unerschütterlicher Überzeugung, dass sich staunendes Schmunzeln und Mitleid gegenüber dem bevormundeten Sohn beim Zuschauer abwechseln. Seltsamerweise, aber laut Sigmund Freud zwangsläufig, verliebt sich Hedi später mit der burschikosen Rim in eine Frau, die seiner Mutter deutlich ähnlicher ist, als seine sanftmütige Braut. Das Unverständnis der Mutter für diese Entscheidung kommt dabei wohl eher von der Tatsache, dass nicht sie diese Entscheidung getroffen hat. Dass der wortkarge Hedi wenige seiner Gefühle erklärt, mag seine Position in der Familie auch nicht gerade stärken. Es ist der grandiose perspektivische Bruch des Films, dass es in dieser männerdominierten Gesellschaft gerade die Frauen sind, die den Mann erziehen und für ihn entscheiden. Sowohl die Mutter, als auch Rim treiben Hedi somit vor sich her. Was er selbst ganz genau möchte, ist auch am Ende des Films noch nicht letztgültig klar.
 
Dabei wird schnell deutlich, dass Ben Attia mit „Hedi“ auch nichts erklären möchte. Er will stattdessen die Momentaufnahme einer Alltagssituation liefern, die sich zur Diskussionsplattform über Tradition, Werte, Freiheit und Verantwortung entwickelt. Der Zuschauer leidet mit Hedi, möchte ihn aber gleichzeitig in die eine oder andere Richtung ermutigen. Der sensible Mann wird damit zu etwas, was sich nicht vordergründig erschließt: zu einer Projektionsfläche für Wünsche und Träume eines Landes im Auf- und Umbruch. Dafür, und die Zustände seines Heimatlandes einem großen internationalen Publikum eröffnet zu haben, gebührt Mohamed Ben Attia große Anerkennung. Hedi einen Helden zu nennen, wäre zu viel gesagt. Doch er ist definitiv eine der großen (wenn auch anfangs unscheinbaren) Figuren der neueren tunesischen Geschichte.
 
Sebastian Bauer