Heil

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Bei seinem letzten Film Kreuzwegunterwarf sich der deutsche Regisseur Dietrich Brüggemann einem strengen stilistischen Regiment. Sein neuer Film Heilist das genaue Gegenteil: wilde Satire und anarchische Komödie über dumpfbackige Neonazis, blasierte Medienfuzzis und Behörden, bei denen die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut. Ein rasend unterhaltsamer Ritt auf der Rasierklinge scharfer Satire Brüggemann schrieb auch Drehbuch und Musik. In den zahllosen Nebenrollen treten Filmemacher und Musiker auf, unter anderem sind Heinz-Rudolf Kunze, Jakob Lass und Andreas Dresen zu sehen, und in einer Gastrolle auch Kinomacher Matthias Elwardt.

Webseite: www.heilderfilm.x-verleih.de

Deutschland 2015
Buch, Koproduktion, Regie: Dietrich Brüggemann
Kamera: Alexander Sass
Darsteller: Jerry Hoffmann, Benno Fürmann, Jacob Matschenz, Daniel Zillmann, Liv Lisa Fries, Oliver Bröcker, Anna Brüggemann, Michael Gwisdeck
Länge: 104 Minuten
Verleih: X-Verleih
Kinostart: 16. Juli 2015
 

FILMKRITIK:

Prittwitz. Eine Kleinstadt im Drei-Länder-Eck von Thüringen, Brandenburg und Sachsen. Hierher führt den gefeierten afrodeutschen Autor Sebastian Klein (Jerry Hoffmann) eine Lesereise. Schon am Bahnhof wird er von dem rechten Kameraden Sven (Benno Fürmann) und seinen Untergebenen (Jacob Matschenz, Daniel Zillmann) empfangen. Die glauben zwar alle an die Überlegenheit der weißen Rasse, sind allerdings selbst nicht sehr helle. Sven plant jetzt ganz groß, um endlich eine örtliche Nazi-Braut zu beeindrucken. Zuerst Gewinnen der öffentlichen Meinung, dann Einmarsch in Polen. Sebastian kommt ihm da gerade recht. Nach einem Schlag auf den Kopf verliert er sein Gedächtnis und plappert in Talkshows alle Phrasen nach, die Sven ihm einflüstert. Der Trip durch die TV-Studios gerät immer mehr außer Kontrolle, als Sebastians schwangere Freundin, drei Verfassungsschützer, ein TV-Reporter und ein Polizist sich an ihre Fersen heften und es den drei Dumpfbacken tatsächlich gelingt, einen Panzer zu organisieren.
 
Der unsägliche Skandal um das jahrelang unerkannt gebliebene Treiben der NSU brachte für Dietrich Brüggemann das Fass zum Überlaufen. Er wollte eine Satire machen, mit der jeder sein Fett wegbekommen sollte: die dumpfen Neonazis genauso wie eine Öffentlichkeit, die zwischen Rechthaberei und Wegsehen schwankt. Insofern ist „Heil“ keine Satire auf den braunen Sumpf, sondern auf die bundesrepublikanische Gegenwart. Brüggemann mischt sich in viele aktuelle Debatten ein. Dazu gehört Mut, denn Aktualität ist nicht gerade, womit das deutsche Kino sonst glänzt.
 
Herausgekommen ist ein wilder Trip in die Untiefen der TV-Talkshows, der ostdeutschen Provinz, der gefühlten Überlegenheit der Eliten und der in die Tasche gelogenen Toleranz liberaler Großstädter. Mit Anleihen beim Slapstick und der Verwechslungs-Komödie, bei Lubitsch und Wilder montiert Brüggemann, der auch das Buch schrieb, ein dramaturgisches Ungetüm aus 114 Sprechrollen (!), das sich in hysterische Höhen schraubt und mit einem wahnwitzigen Gefecht an der deutsch-polnischen Grenze im Nebel des Irrsinns verliert.
 
Dass dabei nicht alle Pointen sitzen, verwundert nicht. Manchmal verzettelt sich Brüggemann auf Nebenschauplätzen, stellenweise franst die Dramaturgie dann doch allzu arg aus. Weil der Regisseur auf Alles und Jeden zielt, fehlt seinem Film ein wenig der Fokus. Ein emotionales Zentrum, dass all den Wahnsinn stabilisiert, hätte „Heil“ gut getan.
 
Andererseits hat eben dieser Wahnsinn Methode. Brüggemann übersteuert und verzerrt so lange, bis die Spiegelung der Wirklichkeit darin immer deutlicher zutage tritt. Politisches Kino, sagt er, sei vielleicht überhaupt nur in der Form der Komödie möglich. Insofern ist „Heil“ ein eminent politischer Film. Und ein rasend unterhaltsamer Ritt auf der Rasierklinge scharfer Satire.
 
Oliver Kaever