Helke Sander: Aufräumen

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Helke Sander, eine der wichtigsten Figuren des deutschen Films und auch des deutschen Feminismus, inzwischen deutlich über 80 Jahre alt und nun Subjekt eines Dokumentarfilms von Claudia Richarz. „Helke Sander: Aufräumen“ zeichnet das Leben der Künstlerin und Aktivistin nach und macht Lust, sich intensiver mit Werk und Leben einer eindrucksvollen Frau zu beschäftigen.

Webseite: https://helkesanderfilm.de/

Deutschland 2023
Regie & Buch: Claudia Richarz
Dokumentarfilm

Länge: 82 Minuten
Verleih: barnsteiner-film
Kinostart: 7. März 2024

FILMKRITIK:

Es beginnt beim Bestatter: Helke Sander sucht sich einen Sarg aus, kein Zeichen von Fatalismus oder Morbidität, sondern von Selbstbestimmung bis zum Ende. Eigentlich würde sie gerne einfach in einem Tuch begraben werden, so wie es bei Muslimen Tradition ist, doch für eine Deutsche auf einem deutschen Friedhof gelten strenge Regeln.

Dass sie auch hier die Regeln hinterfragt passt zu einer Frau, die in einem Moment sagt: „Wer nachdenkt, radikalisiert sich auch.“ Nachgedacht hat Helke Sander viel, besonders in den 60er Jahren, als die Studentenrevolten ihren Anfang nahmen, Revolten, die aber bei aller Radikalität oft von einem immanenten Sexismus geprägt waren. Das Patriarchat ließ sich bei den Eltern gerne anklagen, bei sich selbst waren die Muster nicht so schnell wegzubekommen. Und so kam es 1968 zu Helke Sanders legendärer Rede vor dem SDS, dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund. Sie forderte die Männer im Saal auf, sich nicht nur für die Befreiung der unterdrückten Völker in Vietnam oder anderswo einzusetzen, nicht nur auf das große Ganze zu schauen, sondern auch das kleine, das wenig Spektakuläre im Auge zu behalten: Die Realität der Frauen in Deutschland, in Frankfurt und Berlin.

Dort studierte Sander im legendären ersten Jahrgang der Filmhochschule DFFB, in dem unter anderem Wolfgang Petersen, Harun Farocki, Hartmut Bitomsky und auch der spätere RAF-Terrorist Holger Meins studierten. Erste Filme drehte Sander noch in den 70er Jahre, ihren bekanntesten 1978. In  „Die allseitig reduzierte Persönlichkeit – Redupers“ spielt sie selber die Hauptrolle einer alleinerziehenden Frau, die in West-Berlin als Fotografin arbeitet und versucht, Kind, Beruf, Privatleben und politisches Bewusstsein unter einen Hut zu bringen.

Nicht nur durch ihr eigenes Mitwirken vor der Kamera wird deutlich, wie autobiographisch dieser Film war: Anfang der 60er Jahre zog Sander nach Finnland, bekam ein Kind und kehrte später als alleinerziehende Mutter nach Berlin zurück. In der Rückschau blicken sie und Zeitgenossinnen durchaus selbstkritisch auf diese Zeit zurück, geben zu, dass die Kinder nicht immer die Aufmerksamkeit bekamen, die sie vielleicht hätten bekommen sollen.

Das Private und das Politische unter einen Hut zu bringen, das war damals schon schwierig, das ist es auch heute noch, doch die Fortschritte, die seit den 60er Jahre in der Gesellschaft, aber auch in der Filmbranche zu beobachten sind, zeigen, dass der Einsatz von Helke Sander und anderen nicht umsonst war. Heute gibt es die Initiative ProQuote, heute gibt es Kinderbetruung am Filmset und manch andere Errungenschaft. Wie Claudia Richarz in ihrem Dokumentarfilm „Helke Sander: Aufräumen“ überzeugend zeigt: Nicht zuletzt dank Helke Sander.

 

Michael Meyns