Hereditary – Das Vermächtnis

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„Hereditary“ - „erblich“ auf Deutsch: ein kleiner Hinweis darauf, dass diese eigentlich so normale Familie - Vater, Mutter und zwei Kinder - mit einem Fluch belegt ist, der sich mit dem Tod der Großmutter ungehindert Bahn bricht. Der nun folgende Schrecken ist real, sehr real sogar, aber auch fantastisch. Das Ergebnis ist ein verstörender Horrorfilm, der in Sundance für Furore sorgte. Überragend vielschichtig in der weiblichen Hauptrolle: Toni Collette.

Webseite: splendid-film.de

USA 2018
Regie: Ari Aster
Darsteller: Toni Collette, Gabriel Byrne, Alex Wolff, Milly Shapiro, Ann Dowd
Länge: 126 Min.
Verleih: Splendid
Kinostart: 14.6.2018

FILMKRITIK:

Eigentlich sind die Grahams eine Familie wie andere auch. Annie (Toni Collette) ist eine Künstlerin, die Miniatur-Modelle von Häusern und Wohnsituationen herstellt, die immer mehr ihrem eigenen Leben gleichen. Gleich das erste Bild zeigt, wie die Kamera eines dieser Häuser einfängt, sich auf ein Stockwerk konzentriert und wir, die Zuschauer, uns plötzlich im Schlafzimmer des Sohnes der Grahams befinden. Annie ist mit dem bodenständigen Steve (Gabriel Byrne) verheiratet, gemeinsam haben sie zwei Kinder: den heranwachsenden Peter (Alex Wolff), der sich gerade mit der Pubertät herumschlägt, und die jüngere Charlie (Milly Shapiro), ein Mädchen, das irgendwie anders ist: scheu, unansehnlich, unberechenbar. Und: Sie leidet an einer Nussallergie. Die Normalität erhält im Folgenden immer mehr Risse. Zunächst stirbt Annies Mutter Ellen. Annie versucht irgendwie mit dem Verlust umzugehen. Aber sie ist nicht so traurig, wie sie sein sollte. Trotzdem besucht sie heimlich die Treffen einer Selbsthilfegruppe für Hinterbliebene. Derweil wird die Stimmung im Haus der Grahams immer beklemmender und irritierender, nicht zuletzt, weil Annie den Geist ihrer Mutter im Arbeitsstudio sieht. Und dann nötigt sie Peter, die schwierige Charlie auf eine Party mitzunehmen…
 
Die Party endet mit einem Schock, über den an dieser Stelle nichts verraten werden kann. Nur soviel. Den Grahams stößt etwas Schreckliches zu, so schrecklich, dass auch der Zuschauer einige Zeit brauchen wird, um sich davon zu erholen. Plötzlich nimmt der Film von Ari Aster eine unbeschreibliche Wendung, die den Film zu einer Achterbahnfahrt der Gefühle macht. Die Familientragödie wandelt sich zum übernatürlichen Horrorfilm, der einem jeglichen Halt verweigert.
 
Wer dieses plötzliche Umschlagen von der Realität ins Phantastische nicht akzeptiert, dem wird sich die sorgsam in Wellen aufgebaute Spannung des Films nicht mitteilen. Hier geht es nicht um Action, sondern um eine schleichende Veränderung, die die Familie der Grahams auseinander zu reißen droht. Das lässt sich vor allem an der Darstellung von Toni Collette festmachen, die der Mutter eine bewunderungswürdige Vielschichtigkeit und Ambivalenz verleiht. Collette sät beunruhigende Zweifel an ihrer Figur, an ihrer Empathie, an ihrer Freundlichkeit, an ihrer Lebenstüchtigkeit, vielleicht sogar an ihrem Verstand. Hat sie wirklich den Geist ihrer Mutter gesehen? Und darf eine Mutter ihrem Sohn mit so viel Hass und Wut begegnen? Plötzlich gibt es keine Sicherheit mehr.
 
Auch über die Aussage des Films kann man streiten: Geht es hier um Trauer und Verlust, um Verzweiflung und Schuld, um Familienbande und Mutterliebe, um ein fluchbesetztes Erbe, auf das der Filmtitel verweist? Oder um phantasievollen Horror, der den Zuschauer mit seinen beängstigenden Bildern verfolgt? „Hereditary“ lässt sich mit seinen alptraumhaften Bildern am ehesten mit „Der Babadook“ und „It Comes at Night“ vergleichen. Seit dem Filmfest von Sundance eilt dem Film ein Ruf voraus, der zwei Stunden verstörenden Horror verspricht.
 
Michael Ranze