Herr Wichmann aus der dritten Reihe

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Während das Regierungshandeln in Berlin und Kanzlerin Merkel für gewöhnlich die Schlagzeilen bestimmen, gerät der Alltag in deutschen Parlamenten und Wahlkreisen rasch in Vergessenheit. Knapp zehn Jahre nachdem Andreas Dresen einen engagierten Nachwuchspolitiker im Wahlkampf um ein aussichtsloses Direktmandat für den Bundestag begleitete, besuchte er diesen erneut. „Herr Wichmann aus der dritten Reihe“ sitzt inzwischen für die oppositionelle CDU im brandenburgischen Landtag, wo er sich mit geplanten Radwegen und dem vom Aussterben bedrohten Schreiadler beschäftigen muss. Entstanden ist ein tragikomisches, unterhaltsames und mitunter auch nachdenkliches Portrait des grauen Politikbetriebs.

Webseite: www.herrwichmann.de

D 2012
Regie & Buch: Andreas Dresen
Laufzeit: 90 Minuten
Kinostart: 6.9.2012
Verleih: Piffl

PRESSESTIMMEN:

Sehr unterhaltsam!
ARD Tagesthemen

Schildert die Mühen der Realpolitik eindringlicher als hundert Maischbergers.
STERN

Eine erhellende und lustige Lektion über Realpolitik... Ein wunderbarer Film über Demokratie vor Ort...
DER SPIEGEL

FILMKRITIK:

Politik ist ein mühseliges Geschäft, das Gegenteil von aufregend oder gar „sexy“. Diese Erkenntnis drängt sich bei näherer Betrachtung von Andreas Dresens tragikomischer Dokumentation des Politikalltags förmlich auf. Knapp zehn Jahre nachdem Dresen mit „Herr Wichmann von der CDU“ die Leiden und Mühen des jungen Bundestagskandidaten Henryk Wichmann festhielt, schaute er erneut bei dem engagierten Vollblutpolitiker aus der brandenburgischen Provinz vorbei. In der Zwischenzeit ist viel passiert. Rot-Grün ist schon lange Geschichte, Angela Merkel bereits ein halbes Jahrzehnt Bundeskanzlerin, der Atomausstieg zum zweiten Mal beschlossen und Henryk Wichmann seit 2009 Oppositionsmitglied im Potsdamer Landtag. Mit seinen 33 Jahren zählt er dort zu den jüngeren Abgeordneten, die sich ihren Platz in der Fraktion und im Plenum noch erkämpfen müssen.

Dresen begleitete den beneidenswert gelassenen, inzwischen dreifachen Familienvater auf den Fluren des Landtages, bei Fraktions- und Parlamentssitzungen, in Ausschüssen, während Bürgersprechstunden und Lokalterminen. Trotz Wichmanns Sanftmut und seiner anrührenden, vollkommen uneitlen Don-Quijote-Attitüde spürt man stets seine Hektik und Anspannung. Einmal komplett abzuschalten scheint nahezu unmöglich. Immer und überall trifft man als Politiker zudem auf potenzielle Wähler und ihre Probleme. Dabei ist die Grenze zum Absurden und scheinbar Banalen nicht allzu weit. So wird für Wichmann der vom Aussterben bedrohte Schreiadler zu einem ständigen, unsichtbaren Begleiter. Zusammen mit anderen Geschichten aus Wichmanns Wahlkreis Uckermark/Oberhavel nutzt Dresen die zunehmend bizarre Schreiadler-Episode als roten Faden seiner einjährigen Dokumentation des Politikbetriebs fernab des aufregenden Berlins. Selbst den meist nur wenig aufregenden Landtagsdebatten gewann Dresen hier eine neue Seite ab. Indem er Wichmann mit einem Ansteckmikrofon ausrüstete, wechselt der Film die Perspektive. Statt dem Redner hören wir ihn und seinen Banknachbar, wenn sich beide gerade über die Kosten einer Autoreparatur oder einen Kollegen aus der Regierungsfraktion unterhalten.

Politik ist ein knallharter Job, schlecht bezahlt – wie Wichmann einer frustrierten Rentnerin überzeugend vorrechnet –, und eigentlich nur Masochisten oder äußerst geduldigen Überzeugungstätern zu empfehlen. Auch wenn sich Dresens Film dabei ausschließlich zwischen Potsdamer Landtag und der brandenburgischen Provinz bewegt, wird es zu keiner Zeit langweilig. Dafür sorgen bereits die skurrilen bis komischen Beobachtungen aus Wichmanns Abgeordnetenalltag. Wenn er bei der Eröffnung eines neuen Bürgerbüros gleich drei nahezu identische Topfpflanzen geschenkt bekommt, glaubt man, die Szene sei Teil einer absurden Komödie. Wichmann selbst portraitiert der Film als pragmatischen Kümmerer, der trotz aller Mühen und Querschüsse die Lust an der Politik nie zu verlieren scheint.

Dresen setzte bewusst auf situative Momente denn auf vorbereitete, strukturierte Einzelinterviews. Auch dadurch hebt sich „Herr Wichmann aus der dritten Reihe“ wohltuend von den gängigen Politik(er)dokus ab. In zehn Jahren wird Dresen wiederkommen müssen, um zu sehen, was aus Henryk Wichmann und dem Schreiadler geworden ist. Vielleicht sieht man erstgenannten dann sogar in Berlin. In der Politik ist schließlich nichts ausgeschlossen.

Marcus Wessel

Ein etwas aus der Rolle fallender Dokumentarfilm des oft und hoch dekorierten Regisseurs Andreas Dresen.

Er begleitete mit seinem Team ein Jahr lang den etwa 33jährigen brandenburgischen Landtagsabgeordneten Henryk Wichmann. Gewählter Abgeordneter, das ist schon etwas, denkt man. Sieht man den Film, ist das doch nicht so beneidenswert.

Doch es ist gut, dass es den Film gibt! Man lernt eine Menge über die tägliche Arbeit, über die kleinen Sch . . . probleme, die Mühe, den 14-, 15-Stundentag, das ewige Herumfahren, die Fraktions- und Plenarsitzungen, das Verhältnis zwischen der Regierungskoalition und der Opposition, das Zuhören-müssen, den geringen Erfolg.

Wichmann ist mit Leib und Seele bei der Sache. Familie hat er natürlich auch.

Es geht bei seiner Arbeit und in seinen Bürgerbüros um Radwege, Wohnungen, den eventuellen Bau einer Straße, um Fahrverbindungen im Uckersee, es geht um Schilf- und Sumpfgebiete, darum, wie oft durch den Ort Vogelsang ein Zug fährt und wann die Zugtüren geöffnet werden dürfen. Letzteres ist die Schilderung eines besonders lächerlichen und amtsschimmelhaften Schildbürgerstreichs.

Ein bei aller Gewöhnlichkeit der Probleme lehrreicher und nützlicher Film. Politisch realistisch, gesellschaftlich ebenso aufschlussreich wie verheerend, menschlich äußerst ansprechend.

(Schon vor zehn Jahren unternahm Andreas Dresen mit Henryk Wichmann Ähnliches.)

Fazit: Henry Wichmann ist ein Abgeordneter, wie wir sie brauchen.

Thomas Engel