Herzensbrecher

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Nach dem umfangreichen Lob und der Anerkennung, welche der junge franko-kanadische Regisseur, Schauspieler und zudem auch als Produzent tätige Xavier Dolan für seinen 2009 entstandenen Film „I killed my mother“ erhalten hatte, liegt nun der mit Spannung erwartete zweite Wurf des talentierten Visionärs vor. So oberflächlich die Geschichte von „Herzensbrecher“ dabei um die Liebe und das Verliebtsein kreist, so engagiert ist Dolans Film hinsichtlich seiner formalen Stilmittel. Einheitsware ist sein neues Werk auch diesmal nicht.

Webseite: www.herzensbrecher-film.de

OT: Les Amours Imaginaires
Kanada 2010
Regie: Xavier Dolan
Darsteller: Xavier Dolan, Monia Choukri, Niels Schneider, Anne Dorval
95 Minuten
Verleih: KOOL Filmdistribution
Kinostart: 7.7.2011

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Nein nein, meint Mary zu ihrem schwulen Freund Francis, Nick, dieser attraktive blondgelockte junge Student, das ist kein Typ für mich. Nein nein, entgegnet daraufhin Francis, meiner ist es auch nicht. Trotzdem sind beide von Amors Pfeil getroffen und suchen nun, jeder auf seine Weise, die Gunst und die Sympathie des geheimnisvollen Neulings zu erwerben. Ein wenig stellt das rivalisierende Gebalze der beiden auch die gemeinsame Freundschaft auf die Probe.

Interessant an dieser Beziehungskonstellation ist, dass Mary und Francis die jugendliche Unsicherheit in ihrem Werben nicht kaschieren können. Zumindest nicht charakterlich. Stattdessen flüchten sie auf den Schauplatz der Coolness. Sie wollen gefallen, und das mit allen Mitteln, sei es äußerlich über ein schickes Outfit, durch toll finden was der andere auch toll findet oder durch verbale oder materielle Zuwendungen. Dass Nick ihre Geschenke ohne große Regung annimmt, verstärkt ihre Sehnsucht noch statt ihnen die Augen zu öffnen. Nick freilich merkt sehr wohl, was da um ihn herum geschieht. Zum Spielball der Gefühle anderer lässt er sich jedoch nicht machen. Wohl aber gefällt es ihm, dieses Spiel selbst ein stückweit zu diktieren und zu manipulieren.

Wie schon in seinem erstem Spielfilm wirkt Xavier Dolan auch hier wieder als Darsteller mit. Dolan ist als Francis überzeugend, ebenso wie Monia Choukri als Mary. Niels Schneider bleibt, ganz wie es seine Rolle als Objekt der Begierde und Manipulator verlangt, distanziert bis abweisend. Für die Gesamtheit dieser humorvoll-lakonische Züge tragenden Komödie sind aber noch drei andere Figuren von Bedeutung, die mit der eigentlichen Handlung direkt nichts zu tun haben, sondern zwischendurch in Pseudointerviews Auskunft über ihr eigenes, meist schief gelaufenes oder das von ihnen als Ideal erachtete Liebesleben und –erleben geben. Dolan beruft sich hierbei ganz konkret auf Woody Allens „Husbands and Wives“. Namentlich erwähnt wird aber ein ganz anderer Filmtitel. „Glenn Close in ‚Eine verhängnisvolle Affäre’, das bin ich“, sagt eine der drei in die manchmal irritierend zoomende Kamera sprechenden Talking Heads. Mit ihren Statements – in „I killed my mother“ war es Dolan selbst, der die Bekenntnisse seiner mutterhassenden Figur auf ähnlich quasidokumentarische Weise einflocht - hebt der Regisseur sein Thema auf ein allgemeingültiges Niveau. Nicht mehr nur das Schicksal von Mary und Francis steht zur Debatte, sondern das Dilemma einer ganzen Generation unglücklicher Twens.

Seine im Grunde simple Versuchsanordnung peppt Dolan formal mit einigen Kniffen auf, die man teilweise auch schon aus seinem Erstling kannte, träumerisch-federnde Slow-Motion etwa. Wiederholt angespielt wird in einem von französischen Chansons der 60er und 70er Jahre, Popsongs, Elektrorock wie auch klassischer Musik durchzogenen Soundtrack die italienische Version von Dalidas „Bang Bang“. Das gerne in homoerotischen Zusammenhängen erklingende Stück hatten auch schon Francois Ozon in seinem Kurzfilm „Ein Sommerkleid“ und Quentin Tarantino in „Kill Bill Vol.1“ in der Version von Nancy Sinatra angespielt.

Man kann es dem 1989 geborenen Xavier Dolan nicht verdenken, wenn er sich stilistisch in manchen Dingen wiederholt oder Vorbildern wie Wong Kar-Wei, Pedro Almodovar, Woody Allen und Francois Truffaut eine Reverenz erweist. Entscheidend ist, wie der junge, mitunter auch als „Wunderkind“ titulierte Filmemacher mit diesen Zitaten spielt und sie sich zu eigen macht. Sein Mut, sich auszuprobieren und seine eigene Filmsprache zu finden, sind ihm hoch anzurechnen, auch wenn er diesmal vielleicht etwas oberflächlich bleibt. Wer übrigens die Möglichkeit hat, sich „Herzensbrecher“ in der Originalversion „Les amours imaginaires“ mit deutschen Untertiteln anzusehen, sollte dies gerne tun, ist der mit zahlreichen Anglizismen gespickte franko-kanadische Sprachklang des Films an sich schon ein Erlebnis.

Thomas Volkmann

Mit seinem Film „J’ai tué ma mère“ machte er 2009 Furore in der „Quinzaine des Réalisateurs“ in Cannes. Bereits ein Jahr später kehrte der erst 21-jährige
Kanadier Xavier Dolan zurück in der Reihe "Un Certain Regard" mit seinem neuen Werk "Les Amours imaginaires" und brachte mit seiner eleganten und formal überzeugenden "ménage à trois" jugendlichen Schwung in das Festivalprogramm, das sich allzu sehr auf die soliden, aber meist wenig überraschenden Werke alt gedienter Stammregisseure verließ.

Die Beteiligten an diesem Liebesdreieck: das lang befreundete Paar Marie und Francis - sie hetero, er dem männlichen Geschlecht zugeneigt - und ein gut aussehender junger Mann namens Nicolas, der von der Provinz neu nach Montreal kommt. Sowohl Marie als auch Francis beginnen, um dessen Gunst zu buhlen. Sie deuten jedes Wort und jede Geste, seien sie auch noch so vage, als Liebesbeweis, kaufen ihm Geschenke und machen sich Hoffnungen.

Nicolas ist freundlich zu beiden und scheint das Spiel zu genießen, aber legt sich nicht fest und im Gegensatz zu Marie und Francis ahnt der Zuschauer bald, dass die beiden ihren eigenen Illusionen erliegen. Sehnsucht macht blind, das wird spätestens klar, als es bei einem gemeinsamen Ausflug des Trios zu einer eifersüchtigen Rauferei zwischen den alten Freunden kommt und das Objekt der Begierde nicht eingreift, sondern dem Geschehen nur genüsslich zuschaut.

Besonders Francis, gespielt von Dolan selbst, ist tief verletzt und die Freundschaft mit Marie ist ernsthaft gefährdet. Die mehr imaginierte denn tatsächlich existierende "ménage à trois" nimmt ein abruptes Ende. Erst nach einer langen Auszeit raufen sich Marie und Francis wieder zusammen und erkennen den Wert ihrer Beziehung.

Inhaltlich hört sich diese Geschichte gar nicht mal besonders neu und innovativ an, und in der Tat liegen die Qualitäten des Films vor allem in seiner formalen Frische. Die Verehrung für das Filmschaffen der sechziger Jahre atmet aus jeder Pore dieses mit vergleichsweise geringem Budget privat finanzierten Films, bei dem Dolan nicht nur eine der Hauptrollen übernahm, sondern auch selbst produzierte und das Drehbuch schrieb. Und dennoch wirkt sein Regiewerk keine Minute altmodisch. Nostalgie und Modernität verquicken sich in idealer Weise und thematisieren ein universelles Thema: die Suche nach Zuneigung, die daraus resultierenden Hoffnungen und Illusionen und die Enttäuschung bei Zurückweisung.

Der Einsatz von Musik (Dalida's Song "Bang, Bang" wird quasi zum musikalischen Leitmotiv des Films), an Wong Kar Wais "In the Mood for Love" erinnernde elegante Slow Motion-Effekte und geschickt in die Handlung verwobene Nouvelle Vague-Zitate machen dieses gleichwohl romantische wie ironisch gebrochene Eifersuchtsdrama zu einem ästhetischen Genuss.

Und auch der Humor kommt nicht ganz zu kurz. Am Ende des Films erscheint der französische Schauspieler Louis Garel – in zarter Anspielung auf seinen Part in „Chanson d’amour“ als junger Mann, der sich nach dem Tod seiner Freundin überraschend zu einem Jungen hingezogen fühlt - in einem Cameo-Auftritt. Er blinzelt den beiden auf einer Party zu und Marie und Francis gehen auf ihn zu: das Spiel beginnt von vorn.

Anne Wotschke

Der Originaltitel (Les amours imaginaires) spricht von der imaginären Liebe, von ihrer Vorstellung, von dem, was und wie sie sein könnte, sein müsste. Und genau darum geht es in diesem Film.

Marie und Francis kennen sich gut, sind oft zusammen. Ein Liebespaar im klassischen Sinn sind sie jedoch nicht. Sie lernen Nicholas kennen, einen blonden lockigen Schönling. Besonders interessant und schlau ist der keineswegs, aber wie gesagt schön und halbcharismatisch. Er verführt nicht aktiv sondern passiv.

Francis ist homosexuell angehaucht, hat auch einen Sexpartner, hätte aber gerne Nicholas. Vergebens.

Auch Marie, obwohl ab und zu zum Sex mit einem Mann zusammen, liebt Nicholas – ebenfalls vergeblich. Sie verzehrt sich in Gefühlen für ihn.

Beide steigern sich in ihre eigene Liebesvorstellung hinein, beide verrennen sich in ein Ideal, beide führen ein Real- und ein Traumleben, beide sind verliebt in ihre Form der Liebe. Besteht zu Nico eine Seelen-, eine Wahlverwandtschaft? Sicher ist: Das Ideal der Liebe ist nicht zu erreichen. Nicholas bleibt bei alledem nur Anlass und Objekt. Bei einem Ausflug der drei aufs Land kommt das besonders drastisch zum Ausdruck.

Es geht daneben allgemein um den Emotionsreichtum oder auch die Gefühlsvergeudung der Jugend. Ein paar andere kommen zu Wort, gestehen etwa eine Zurückweisung in der Liebe, was wie eine Guillotine wirke, oder sie schildern das Gegenteil, die Verzauberung.

Nicholas muss ein paar Monate verreisen. Danach ist der exaltierte Gemüts- und Geisteszustand bei Marie und Francis verflogen. Doch wie es aussieht, werden bereits die nächsten Versuche gestartet.

Xavier Dolan hat zweifelsohne Talent. Das ist an originellen und realitätsnahen Filmsituationen zu erkennen, am treffenden Thema, an manchen Dialogen, beispielsweise über Kinseys sieben sexuelle Stufen, an der Musik (Songs und Violoncellosonaten von Bach), an der zuweilen erreichten zärtlichen Stimmung, an der Kameraarbeit.

Sein Stil ist aber oft auch manieristisch. Er weist Leerstellen auf oder Slow-Motion-Ticks. Er sagt selbst, dass noch manches der Korrektur bedürfe.

Kanadisches Jugenddrama um vergebliche Liebessehnsüchte.

Thomas Engel