Heute oder Morgen

Zum Vergrößern klicken

Glaubt man dem deutschen Nachwuchskino, sind junge Menschen in Deutschland, besonders in Berlin, sexuell offen, hedonistisch und ein bisschen von sich, der Welt und den viel zu vielen Möglichkeiten gelangweilt. Solche Menschen porträtiert auch Thomas-Moritz Helm in seinem Debütfilm „Heute oder Morgen“, der im Frühjahr in der Perspektive Deutsches Kino seine Premiere feierte.

Webseite: www.salzgeber.de

Deutschland 2018
Regie & Buch: Thomas-Moritz Helm
Darsteller: Paula Knüpling, Maximilian Hildebrandt, Tala Gouveia, Roland Bonjour, Nora Decker, Carrie Getman
Länge: 93 Minuten
Verleih: Salzgeber
Kinostart: 19. September 2019

FILMKRITIK:

Sommer in Berlin. Niels (Maximilian Hildebrandt) und Maria (Paula Knüpling) sind ein Paar, versuchen sich aber an offenen Beziehungsformen, gehen mit wechselnden Partnern ins Bett, mal allein, mal auch zusammen. Sie schlagen sich mit Nebenjobs durchs Leben, hängen rum, rauchen Gras und genießen ihr Leben und ihre Freiheit.
 
Bis eines Tages die Engländerin Chloe (Tala Gouveia) in ihrem Leben auftaucht und alles verändert. Anfangs als potentieller Partner für einen Dreier im Gespräch, entwickelt sich zwischen Maria und Chloe bald etwas, dass über rein körperliche Anziehung hinausgeht. Zunehmend entfremdet sich Maria von Niels, beginnt ihr Lebensmodell zu hinterfragen. Währenddessen agiert Niels immer besitzergreifender, versucht Maria zu kontrollieren und sorgt damit erst recht dafür, dass ihr einst zu vielversprechend und progressiv wirkendes Lebensmodell an seine Grenzen stößt, spätestens dann, als Chloe plötzlich schwanger ist.
 
Man könnte kleine Festivals mit Debütfilmen oder Filmhochschulabschlussfilmen füllen, die meisten in Berlin spielend, manche auch in Köln oder anderen deutschen Großstädten, die sich mit unterschiedlichen Formen unkonventioneller Beziehungsmodellen beschäftigen. Der Eröffnungsfilm der Perspektive Deutsches Kino, „easy love“ ist so ein Film, „Voll Rita“ oder „Kim hat einen Penis“ mag man dazuzählen, ganz gewiss aber Thomas-Moritz Helms „Heute oder Morgen“.
 
Anders als etwa „easy love“ mit seinem semidokumentarischen Ansatz oder „Kim hat einen Penis“ mit seiner fast schon phantastischen Geschichte, bewegt sich Thomas-Moritz Helm im realistischen, naturalistischen Bereich. In zurückhaltenden, ruhigen Bildern beobachtet er das Paar, das bald zu einem Trio wird, spitzt die Situation langsam zu, wobei das Externe stets unwichtiger bleibt als das Interne. Während Niels angesichts der Gefühlsverwirrungen zunehmend gereizt agiert, sich in machohafte Posen flüchtet, immer mehr Mühe hat, sich als der souveräne Typ zu zeigen, als der er sich sieht, zieht sich Maria immer mehr zurück.
 
Gerade als Chloe gesteht, dass sie schwanger ist, vermutlich von Niels, beginnt sie ihr Beziehungsmodell zu hinterfragen. Zu dritt ein Kind aufzuziehen, scheint eine logische Weiterentwicklung zu sein, doch ob Chloe da mitmachen möchte ist eine andere Frage.
 
Die Egozentrik einer Generation, die mit dem Gefühl aufgewachsen ist, stets im Mittelpunkt zu stehen, wird hier porträtiert. Ohne Rücksicht auf Verluste zu leben, den eigenen Wünschen zu folgen, sich wenig Gedanken über das Danach zu machen: So leben Niels und Maria, in dieser Blase haben sie es sich gemütlich gemacht, in ihr stecken sie auch am Ende eines Films noch fest, der ohne deutlich zu werten und kritisieren, doch die Grenzen eines Lebensmodells aufzeigt, das ganz auf der Idee von Freiheit basiert.
 
Michael Meyns