Hör auf zu lügen

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Bewegende Lovestory um einen erfolgreichen Autor, der nach vielen Jahren seine Heimat besucht und sich an seine ganz große Liebe als Teenager erinnert. Mit souveräner Eleganz schlägt die Story wunderbare Haken. Mit großer Glaubwürdigkeit erlebt man die Figuren auf ihrer emotionalen Achterbahn. Sehnsucht, Schuldgefühle, Sinnlichkeit - nicht selten fühlt man sich an „Call Me by Your Name“ erinnert. Hier wie dort setzt die Schönheit der Landschaft den Kontrast zum Chaos der Gefühle. Wie Luca Guadagnino inszeniert Olivier Peyon intime Szenen mit flirrender Leidenschaft und kann sich auf charismatische Darsteller verlassen, zwischen denen die Chemie spürbar stimmt. Wem einer der Schauspieler irgendwie bekannt vorkommt: Es ist Victor Belmondo, Enkel der Nouvelle Vague-Ikone Jean-Paul.

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Frankreich 2022
Regie: Olivier Peyon
Darsteller: Guillaume De Tonquédec, Victor Belmondo, Guilaine Londez, Jérémy Gillet, Julien De Saint Jean

Länge: 98 Min.
Verleih: 24 Bilder Film GmbH
Kinostart: 16.11. 2023

FILMKRITIK:

Eher widerwillig nimmt Erfolgsautor Stéphane Belcourt (Guillaume De Tonquédec) die Einladung eines Cognac-Herstellers an, zu dessen 200-jährigem Jubiläum als Redner aufzutreten. Aber ein bisschen Abwechslung tut vielleicht ganz gut. Seine Beziehung ging gerade in die Brüche, der aktueller Roman gerät ins Stocken und schließlich war er seit Jahrzehnten nicht mehr in seiner Heimatstadt. Kaum angekommen, holen ihn die Erinnerungen ein. Anno 1984 schwärmt er als zierlicher Siebzehnjähriger (Jérémy Gillet) von seinem coolen Mitschüler Thomas (Julien De Saint Jean). Der Mädchenschwarm mit Motorrad scheint unerreichbar für ihn. Dann steckt ihm ausgerechnet Thomas einen Zettel zu, um den verblüfften Stéphane an einem einsamen Ort heimlich zu treffen. Die Begegnung im verlassenen Schwimmbad wird dramatische Folgen für die beiden Jungs haben.

Zurück in der Gegenwart, bemerkt der Autor den jungen, umtriebigen Mitarbeiter des Cognac-Unternehmens. Lucas (Victor Belmondo) fährt nicht nur dasselbe Motorrad wie einst Thomas. Er stellt sich zudem als Sohn von Stéphanes großer Liebe heraus. Von der Beziehung seines Vaters weiß er nichts, so sagt er. Auch die Bücher von Stéphane habe er nie gelesen, beteuert Lucas. Umgekehrt erzählt der Autor, dass Thomas lediglich eine Bekannter aus Schülertagen gewesen wäre. Wie sich die Wahrheit tatsächlich darstellt, entwickelt der Film wie ein Puzzlestück. Immer wieder geht der Blick zurück in die Vergangenheit. „Unser Bett ist unser Königreich“ schwärmt der schwer verliebte Teenager. „Niemand darf davon etwas erfahren!“, entgegnet das Objekt seiner Begierde.

In der Gegenwart enthüllen sich immer mehr Geheimnisse um das Leben und die Liebe des prominenten Künstlers. Zugleich ist auch Lucas immer für Überraschungen gut. Mit souveräner Eleganz schlägt die Story wunderbare Haken. Mit großer Glaubwürdigkeit erlebt man die Figuren auf ihrer emotionalen Achterbahn. Sehnsucht, Schuldgefühle, Sinnlichkeit - nicht selten fühlt man sich an „Call Me by Your Name“ erinnert. Hier wie dort setzt die Schönheit der Landschaft den Kontrast zum Chaos der Gefühle. Wie Luca Guadagnino inszeniert Olivier Peyon intime Szenen mit flirrender Leidenschaft und kann sich auf charismatische Darsteller verlassen, zwischen denen die Chemie spürbar stimmt. Vom Coolness-Gen von Belmondo ganz zu schweigen.

Bei aller Dramatik kommt die Komik nicht zu kurz. Sei es, wie der Cognac-Baron sich umständlich für seine Homophobie zu entschuldigen versucht. Wie eine resolute Assistentin einen großen Streit im Auto schlichtet. Oder die anzügliche Sex-Anekdote des Autors vor ahnungslosen Gästen im Fiasko endet. Wie bei „Call Me“ liegt bei „Hör auf zu lügen“ ein Roman zugrunde. Für seine autobiografische Lovestory „Arrête avec tes Mensonges“ wurde Philippe Besson mehrfach preisgekrönt. Wenn der nachdenkliche Stéphane nachts im alten Schwimmbad sitzt und plötzlich setzt sich eine große Überraschung neben ihn, geht ein kleines Raunen durch das Kino. Arthaus-Kino, an dem so gut wie alles stimmt. So unterhaltsam wie nachdenklich wie bewegend.

 

Dieter Oßwald