Hördur – Zwischen den Welten

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In seinem Debütfilm „Hördur – Zwischen den Welten“ erzählt Ekrem Ergün von den Schwierigkeiten der 16jährigen Aylin, Tochter türkischer Einwanderer, sich in Deutschland zurechtzufinden. Dabei trägt Ergün anfangs etwas dick auf, schafft es danach aber, seinen Film zu einer sensiblen Geschichte zu entwickeln, die ihre Metaphern nicht überstrapaziert und „Hördur – Zwischen den Welten“ schließlich doch zu einem sehenswerten Film über Integration und Freundschaft macht.

Webseite: www.hoerdur.de

Deutschland 2014
Regie: Ekrem Ergün
Buch: Dorothea Nölle
Darsteller: Almila Bagriacik, Felicitas Woll, Hilmi Sözer, Fabio Seyding, Özgür Karadeniz, Selale Gonca Cerit
Länge: 105 Minuten
Verleih: NFP, Vertrieb: Tobis
Kinostart: 29. Oktober 2015
 

Pressestimmen/Auszeichnungen:

"Ein spannendes, mitreißendes und klug erzähltes Coming-of-Age-Drama mit einer starken jungen Heldin, die ihren eigenen Weg findet. Zwischen allen Welten, Kulturen und Überzeugungen. Hochaktuell, einfühlsam und überzeugend inszeniert. - Prädikat: besonders wertvoll." (FBW)

FILMKRITIK:

Aylin (Almila Bagriacik) ist 16 Jahre und lebt zusammen mit ihrem Vater Hasan (Hilmi Sözer) in Mannheim. Die Mutter ist vor einem Jahr gestorben, seitdem trägt Aylin die Verantwortung für den Haushalt, ihren kleinen Bruder und nicht zuletzt für sich selbst. Denn in der Schule wird sie von Mitschülerinnen gemobbt, im Unterricht driften ihre Gedanken immer wieder ab, es ist alles etwas viel Verantwortung für ein kaum erwachsenes Mädchen.

Und so kommt es wie es kommen muss: Eines Tages hat Aylin genug und wehrt sich. Ihre Mitschülerin kommt mit einem blauen Auge und Prellungen davon, Aylin muss zur Strafe Sozialstunden ableisten und landet auf dem Pferdehof von Iris (Felicitas Woll). Die ist ähnlich wortkarg und verschlossen wie Aylin und nimmt das Mädchen nur widerwillig als Hilfe an. Doch dann entdeckt Aylin den ungestümen, tiefschwarzen Hengst Hördur und beginnt, sich zum ersten Mal richtig für etwas zu interessieren.
Haben Islandpferde wie der Hengst Hördur ihre Heimatinsel einmal verlassen, können sie nie wieder zurück. Als Iris ihrem Schützling vom Schicksal des einsam über die Weide tobenden Hördur erzählt, zieht man unweigerlich eine Parallele zum Leben von Aylin, die ähnlich heimatlos und, ja, Zwischen den Welten lebt, um den überstrapazierten, aber doch zutreffenden Untertitel zu verwenden. Es ist die Stärke von Ekrem Ergüns Debütfilm „Hördur“, das er eine Metapher wie diese einfach in den Raum stellt, ohne sie zu vertiefen. Wann genau Aylins Familie aus der Türkei emigrierte erfährt man ebenso wenig wie die Ursache für den frühen Tod der Mutter, der das Leben in der Fremde für Aylin und besonders ihren Vater zusätzlich schwer machte.

Dieses subtile Erzählen, dass vor allem andeutet und nicht auserzählt, überrascht und erfreut um so mehr, als „Hördur“ ganz anders begann: In groben, reichlich plakativen Strichen wird anfangs Aylins Leben geschildert, ihre Isolation in der Schule, ihre wenigen türkischstämmigen Freundinnen, die so übertrieben viel rauchen und ihre Kinder so dezidiert vor der Playstation abstellen, dass es fast schon wie eine Satire wirkt. Doch dann beginnt der Film sich zu fangen, beginnen auch die Träume Aylins, die immer wieder einen langen Pfad im Wald zeigten, ein Bild der Freiheit, des Ausbruchs, sich in die Story zu fügen.

Eine klassische Selbstfindungsgeschichte ist „Hördur“ also, die Geschichte der langsam wachsenden Erkenntnis, dass nicht alles schlecht ist, dass ein Miteinander meist angenehmer als ein Gegeneinander ist. Doch auch wenn Aylin im Laufe des Films einige Erfolge feiert, einen Aufsatz vor ihrer Klasse vorträgt, mit Hördur an einem Reitturnier teilnimmt, vor allem aber den Vater davon überzeugt, das Leben in Deutschland trotz allem nicht aufzugeben: einfache Lösungen bietet Ergün nicht an. Das ist ein Maß an subtilem Erzählen, dass man dem Film anfangs nicht zugetraut hätte und „Hördur – Zwischen den Welten“ schließlich doch noch zu einem sehenswerten Film über Integration und Freundschaft macht.
 
Michael Meyns