Holy Island

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Zwei Menschen sind in einer Hafenstadt gefangen. Ihre Versuche, diesem geheimnisvollen, möglicherweise mythischen Ort zu entkommen, scheitern. Sind sie schon in der Hölle oder erst auf dem Weg dorthin? Robert Mansons in harschem Schwarzweiß gedrehter Spielfilm „Holy Island“ ist ein großes Rätsel, das aus viele kleinen Rätseln besteht. Ob man dem Charme dieses Arthouse-Vexierspiel erliegt, hängt von der Bereitschaft des Zuschauers ab, sich – wie die Protagonisten des Films – auf eine Reise mit ungewissem Ziel zu begeben. Führt sie in die Unendlichkeit oder ins Nichts? Und ist man überhaupt losgefahren?

Webseite: https://holyislandfilm.com/

Irland 2023
Buch und Regie: Robert Manson
Darsteller: Jeanne Nicole Ní Áinle, Conor Madden, Dermot Murphy, Mark Doherty, Maria Oxley Boardman
Kamera: Evan Barry
Musik: James Latimer

Länge: 89 Minuten
Verleih: UCM.ONE
Start: 02.05.2024

FILMKRITIK:

David ist ungefähr vierzig oder komplett alterslos. Er sitzt in einer heruntergekommenen Hafenstadt und wartet auf sein Boot, das niemals kommen wird: Der Schiffsverkehr wurde eingestellt. Auch Rosa (um die 30) will die Stadt verlassen, aber aus anderen Gründen als David, vielleicht kennt sie die Stadt, vielleicht auch nicht. Die beiden reden miteinander und mit sich selbst, sie setzen ihre verloren geglaubte Vergangenheit aus Sprachfetzen und Erinnerungsschnipseln zusammen. Und doch weiß man nie, ob ihnen alles wirklich zugestoßen ist, wovon sie erzählen, oder ob sie sich nur in etwas hineingeträumt haben. Sicher ist nur, dass sie ihrer Vergangenheit entkommen wollen.

Man merkt, dass der Filmemacher Robert Manson aus Irland kommt, denn beinahe jede Einstellung seines Films atmet die poetische Verschrobenheit, die typische „Quirkiness“ die für die „Grüne Insel“ und ihre Bewohner so typisch ist. Ein solch typischer Ire ist auch der im Film erratisch auftauchende Taxifahrer, der Rosa und David zu seltsamen Exkursionen ins Nirgendwo fährt und dazu schräge, pointenlose, nichtsdestotrotz unterhaltsame Geschichten erzählt. In Mansons Welt ist allerdings auch Franz Kafka ein Ire, denn dessen Einfluss merkt man in Form einer allgegenwärtigen, düster-absurden Bedrohlichkeit in vielen Winkeln der kryptischen Hafenstadt. Da schwingt dann auch ein wenig absurdes Theater mit – Godot lässt hier nicht nur warten, sondern auch grüßen. Und Samuel Beckett war bekanntlich ebenfalls ein Ire.

Obwohl „Holy Island“ in erster Linie ein Schwarz-Weiß-Film ist, gestattet Manson sich und den Zuschauern einige Farbtupfer in der ansonsten monochromen Landschaft. Am besten lässt sich Robert Mansons Film als Schwarz-Weiß-Sinfonie mit farbigen Zwischenspielen charakterisieren. Dabei ließe sich auch spekulieren, ob es Rosa zu verdanken ist, dass Farbe in Davids Leben kommt. Spielkarten tauchen unvermittelt als Farbtupfer auf, ebenso wie ganze farbige Sequenzen. Außerdem sind verschneite Super-8-Aufnahmen in verwaschenen Farben zu sehen – Erinnerungen, die nie richtig zuzuordnen sind und es auch nicht sein sollen.

Schauspielerisch leisten Conor Madden und vor allen Dingen Jeanne Nicole Ní Áinle eine unfassbar gute Arbeit. Trotz der verhaltenen Gesamt-Tonlage des Films gelingt es beiden mit unterschiedlichen, differenzierten Mitteln, die komplette Klaviatur der Gefühle zu bedienen und beim Publikum ein echtes Interesse für ihre Figuren zu schaffen, was angesichts der spröden Regie nicht nur erstaunlich, sondern auch sehr erfreulich ist.

Letztlich machen David und Rosa nichts anderes als jeder andere Mensch, der beim Zwischenstopp auf einer Reise ein paar Stunden totschlagen muss. Sie streifen ziellos durch die Gegend, träumen ein bisschen vor sich hin, fragen sich, ob und wie es weitergeht, und werden, je länger sie warten müssen, umso mehr auf sich selbst zurückgeworfen. Auf „Holy Island“ geschieht das jedoch mit einer poetischen Unerbittlichkeit, die einem den Atem verschlägt, wenn man sich auf sie einlässt.

Sicherlich ist Robert Mansons Film eher ein kleiner Film, er ist sehr speziell, manchmal wirkt er selbstbezogen, auch inkonsequent. Wer jedoch den Schiffsfunk auf Mansons Wellenlänge empfangen und sich auf die verrätselten Charaktere von Rosa und David einlassen kann, wird anderthalb flirrende, manchmal verblüffende Stunden im Kino erleben.

 

Gaby Sikorski