Holy Spider

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Mit seinem dritten Spielfilm „Holy Spider“ wurde der in Dänemark lebende iranische Regisseur Ali Abbasi zum zweiten Mal zu den Filmfestspielen von Cannes eingeladen, wo seine Mischung aus Serienkillerfilm und Sozialdrama im Wettbewerb gezeigt wurde. Basierend auf einem wahren Fall, der Anfang der Nuller Jahre die iranische Gesellschaft erschütterte beschreibt Abbasi ein Land voller Vorurteile und patriarchalischer Strukturen, in der Frauen wenig und Prostituierte gar keinen Wert haben.

Dänemark/ Deutschland/ Schweden/ Frankreich 2022
Regie: Ali Abbasi
Buch: Ali Abbasi & Afshin Kamran Bahrami
Darsteller: Mehdi Bajestani, Zar Amir Ebrahimi, Arash Ashtiani, Forouzan Jamshidnejad, Alice Rahimi, Sara Fazilat

Länge: 117 Minuten
Verleih: Alamode
Kinostart: demnächst

FILMKRITIK:

Ein Serienkiller treibt in Mashhad, der zweitgrößten Stadt des Irans und ihr religiöses Zentrum, sein Unwesen. Auf Prostituierte hat es der Täter abgesehen, der eigentlich treusorgender Familienvater von drei Kindern ist. Doch Saeed (Mehdi Bajestini) hat auch eine dunkle Seite und sieht es als seine religiöse Pflicht an, die Gesellschaft von Elementen zu befreien, die in Schande leben.

Dass er mit dieser Haltung in der erzkonservativen Gesellschaft des Irans, die von religiösen Fundamentalisten und ihrer Auslegung des Korans geprägt ist, nicht allein steht, beweist die nachlässige Ermittlungsarbeit der Polizei. Großes Interesse daran, den Täter zu schnappen, haben sie nicht, wie die Journalistin Rahimi (Zar Amir Ebrahimi) schnell feststellt. Aus der Hauptstadt Teheran ist sie in ihre Heimatstadt zurückgekehrt, auch weil sie eine gute Geschichte wittert, vor allem aber, weil sie selbst am Rand der Gesellschaft steht. Als alleinstehende Frau um die 30 wird sie oft verdächtigt, sich unsittlich zu verhalten, dass sie zudem raucht und wegen einer angeblichen Affäre mit ihrem Chef gefeuert wurde, lässt sie erst recht als Paria erscheinen.

Was der Polizei nicht gelang (oder nicht gelingen wollte) schafft Rahimi: Sie kommt dem Täter auf die Spur, der sich auch wenig Mühe gibt, unauffällig zu agieren. So sitzt bald Rahimi bei Saaed auf dem Rücksitz seines Motorrad und hofft, den Täter dingfest machen zu können.

Gleich in den ersten fünft Minuten von „Holy Spider“ sieht man eine nackte Frau, wird Heroin geraucht, ist Prostitution und Oralsex zu sehen. Alles Dinge, die zwar Teil der gesellschaftlichen Realität des Irans sind, im iranischen Kino aber normalerweise keinen Platz haben. Nun ist Ali Abbasi auch kein iranischer Regisseur mehr, der sich mit der strengen Zensur des Landes auseinandersetzen muss, sondern ein in Dänemark lebender Regisseur, der seinen Film über den Iran im deutlich liberaleren Jordanien gedreht hat.

Wie ein sehr amerikanischer Serienkillerfilm mutet „Holy Spider“ in der ersten Hälfte an, voller düsterer Bilder, ominöser Musik, brutalen Morden. Fast reißerisch mutet es an, wie Ali Abbasi Aspekte der iranischen Gesellschaft zeigt, die das einheimische Kino ansonsten nicht zeigen kann. Einen anderen Blick auf seine Heimat wollte der seit gut zwanzig Jahren in Dänemark lebende Regisseur dem Vernehmen nach werfen, den typischen Bildern, die ein westliches Publikum vom Iran zu sehen bekommt, eine alternative Sicht entgegensetzen.

Gerade in der zweiten Hälfte, wenn immer deutlicher wird, wie sehr weite Teile der Gesellschaft den Prostituierten-Mörder Saeed jedoch unterstützen, seine Taten gutheißen, bestätigt Abassi jedoch genau das Bild, das im Westen meist vorherrscht wenn vom Iran die Rede ist: Eine tief religiöse Gesellschaft wird gezeigt, ein Land, in dem der Klerus herrscht und mit seiner erzkonservativen Interpretation des Korans die Freiheit besonders von Frauen beschränkt.

Von der moralischen Ambivalenz, wie sie etwa in den Filmen Asghar Farhadis thematisiert werden ist in „Holy Spider“ wenig zu spüren, sein Film ist Anklage durch und durch. Wuchtig inszeniert, mit ungewöhnlichen Einblicken in die iranische Gesellschaft, aber auch ohne Zwischentöne.

 

Michael Meyns