Horizon

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Für einen Western bekam der damals noch als etwas leichtgewichtig geltende Schauspieler Kevin Costner vor über 30 Jahren den Oscar, mit einer Western-Fernsehserie erlebte die darbende Karriere Costners vor ein paar Jahren einen zweiten oder dritten Frühling. Dieser Erfolg ermöglichte es Costner nun, sich einen langgehegten Traum zu erfüllen: Ein epischer Film über die Eroberung des Wilden Westens. „Horizon“, ein dreistündiges Epos, das dennoch nur der erste von geplanten vier Teilen ist.

Horizon: An American Saga – Chapter 1
USA 2024
Regie: Kevin Costner
Buch: Kevin Costner, Jon Baird
Darsteller: Kevin Costner, Sienna Miller, Sam Worthington, Jena Malone, Luke Wilson, Abbey Lee, Tom Payne

Länge: 180 Minuten
Verleih: Tobis
Kinostart: 22. August 2024

FILMKRITIK:

Es dauert gut eine Stunde, bis der Drehbuchautor, Produzent und Regisseur persönlich ins Bild reitet, in gewisser Weise könnte man auch sagen: Zu Beginn der zweiten Folge. Erst drei, vier der zahlreichen Hauptfiguren sind zu diesem Zeitpunkt eingeführt, vor allem die von Sienna Miller gespielte Frances Kittredge, eine Siedlerin im Wilden Westen in den frühen 1860er Jahren, deren Mann und Sohn gleich zu Beginn bei einem Überfall durch Indigene ermordet werden.

Zusammen mit ihrer Tochter findet Frances Obdach in einem Vorposten der amerikanischen Armee, wo der fesche Leutnant Trent Gephardt (Sam Worthington) nicht recht wagt, ihr seine Zuneigung zu gestehen. Wir befinden uns im San Pedro Valley, an der Grenze der heutigen Bundesstaaten Kalifornien und Arizona, wo ein findiger, windiger Makler unbedarften Glücksrittern ein Stück von Horizon verkauft hat, einer geplanten Stadt an der Grenze dessen, was Frontier genannt wurde, der Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation. Dass in dieser Gegend auch Indigene leben, die wenig Lust verspüren, ihre Jagdgründe an die Bleichgesichter abzugeben, ist ein Aspekt, der im klassischen Western oft unterschlagen wurde, der für einen Westen im Jahre 2024 aber natürlich entscheidend ist.

Schon in seinem vielfachen Oscar-Gewinner „Der mit dem Wolf tanzt“ erzählte Kevin Costner eine Geschichte der Völkerverständigung, inszenierte sich selber als Armee-Mitglied, das große Sympathien für die Indigenen, die damals noch als Indianer bezeichnet wurden, entwickelte. Auch wenn man diesem Epos heute vermutlich vorwerfen würde, Anzeichen einer White Saviour-Narration zu bedienen, war es dennoch ein bemerkenswert progressiver Film.

Hinter dieses Level will der inzwischen fast 70jährige Kevin Costner, der seit 20 Jahren nicht mehr Regie geführt hat, natürlich nicht zurückfallen und hat dementsprechend angekündigt, das sein auf vier Teile angelegtes Epos „Horizon“, eine mit über 100 Sprechrollen besetzte, vielstimmige Erzählung sein soll, die alle Aspekte der Eroberung des Wilden Westens beleuchtet. Was bedeutet, dass es sowohl blutrünstige, wie auch noble indigene gibt, noble Siedler, aber auch arrogante, edle Soldaten, ebenso wie fiese Bösewichte, die sprichwörtlichen Huren mit goldenem Herzen darf ebenso nicht fehlen wie eine holde Maid, die in weichem Licht ihr offenes Haar kämmt.

Worum es im Kern geht? Um nicht weniger als alles, was ein bisschen viel ist und zu einem Film führt, der wunderbare Szenen bietet, spektakuläre Landschaftsaufnahmen, ein bisschen kauzigen Humor, dann wieder ziemlich brutale, also realistische Wild West-Gewalt. Viel Melodrama bietet „Horizon“ und wirkt dabei erstaunlich – oder auch zeitgemäß – episodisch.

Mit der TV-Serie „Yellowstone“ feierte Costner in den letzten Jahren ein erstaunliches Comeback, was vermutlich auch an der Sehnsucht vieler Zuschauer nach alten Werten, einer verlässlichen Ordnung, einer Flucht vor der Unbill der Gegenwart liegt. Ganz in diesem Sinne macht Costner als Autor und Regisseur nun weiter, erzählt ausschweifend und ohne klares Ziel, ist mehr an Details, an Stimmungen interessiert als an einer dichten Erzählung, wie man sie aus klassischen Kinofilmen gewohnt war. Vielleicht ist es modern, eine so sehr ans Fernsehen gemahnende Erzählweise ins Kino zu bringen, einen Film zu drehen, der am Ende, wenn Costner alle geplanten vier Filme in ähnlicher Breite anlegt, auf gut zwölf Stunden Länge, von der Eroberung des Wilden Westens erzählt. Ein Wagnis ist „Horizon“ ohne Frage, man darf gespannt sein, ob Costner seine alten und neuen, mit einem TV-Western gewonnenen Fans, auch ins Kino folgen.

 

Michael Meyns