Ich war zuhause, aber…

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Mit ihrem Film „Ich war zuhause, aber...“ nahm Angela Schanelec zum ersten Mal am Wettbewerb der Berlinale teil und wurde gleich mit dem Preis für die Beste Regie ausgezeichnet. Nicht zu Unrecht, denn Schanelec erweist sich erneut als präzise Regisseurin, die genau weiß, was und wie sie erzählen will. Wie stets ist dieses wie allerdings auch ausgesprochen spröde und oft enigmatisch.

Webseite: ich-war-zuhause-aber.de

Deutschland 2019
Regie & Buch: Angela Schanelec
Darsteller: Maren Eggert Jakob Lassalle, Clara Möller, Franz Rogowski, Lilith Stangenberg, Alan Williams, Jirka Zett
Länge: 105 Minuten
Verleih: Piffl
Kinostart: 12. September 2019

FILMKRITIK:

Wollte man sich „Ich war zuhause, aber...“ ganz klassisch über die Handlung nähern, würde sich das ungefähr so anhören: Zusammen mit ihren beiden Kindern Philipp (Jakob Lassalle) und Flo (Clara Möller) lebt Astrid (Maren Eggert) in Berlin. Philipp war gerade eine Woche spurlos verschwunden und ist plötzlich wieder aufgetaucht. An seiner Schule wird gerade Shakespeare inszeniert, Hamlet, weswegen Astrid oft mit einigen Lehrern redet, die ihre eigenen Probleme haben.
 
Außerdem versucht sie ein Fahrrad zu kaufen, von einem Mann mit Kehlkopfkrebs, der sich dadurch nur durch ein Mikrofon verständlich machen kann. Nach und nach stellt sich heraus, dass vor einiger Zeit der langjährige Mann von Astrid verstorben ist, ein Theaterregisseur, der sich mit Fragen der Inszenierung und Authentizität befasst hat. Am Ende sind wieder ein Hase und ein Esel zu sehen, die schon zu Beginn in der Natur beobachtet wurden, bei der Jagd, beim Leben, beim Sein.
 
Wie stets verzichtet Schanelec weitestgehend auf so etwas wie eine klare Handlung, reiht sie Szenen eher intuitiv als strukturiert aneinander. Basierten frühere Filme wie „Nachmittag“ noch auf klassischen Texten, in jenem Fall einem Stück von Tschechow, war zuletzt „Der traumhafte Weg“ ein Versuch, Kino noch mehr aus dem Korsett konventioneller Narration zu lösen.
 
Zunehmend assoziativ funktionieren Schanelecs Filme, spielen mit Zitaten, die bisweilen ein wenig wie nicht besonders subtile Zeichen für besserwissende Filmkritiker anmuten, die sich nach dem Erkennen der Verweise auf die Schulter klopfen können: Wenn da am Anfang etwa ein Esel zu sehen ist, denkt jeder filmhistorich geschulte sofort an Robert Bressons legendären „Zum Beispiel Balthazar“, beim Titel „Ich war zuhause, aber...“ an Yazujiro Ozus „Ich wurde geboren, aber...“ Doch sind solche Verweise mehr oder laufen sie ins Leere? Oder sind sie vielleicht sogar tatsächlich subtile Andeutungen, die eines der Themen von Schanelecs Film umkreisen: Die Schwierigkeit des Verstehens?
 
Was ist Wahrheit, was ist echt, was ist authentisch wird in „Ich war zuhause, aber...“ immer wieder gefragt, meist unterschwellig, manchmal auch direkt, vor allem in der einen, langen Dialogszene, die im Zentrum des Films steht und vielleicht eine Art Schlüsselszene ist. Minutenlang sieht man da wie Astrid auf einen jungen Regisseur einredet, während sie ihr Fahrrad durch die Straßen schiebt. Es geht um den Ansatz des jungen Regisseurs, der tatsächlich behinderte Menschen für eine Inszenierung auf die Bühne geholt hat, um größtmögliche Wahrheit und Authentizität zu erzielen. Immer vehementer hinterfragt und kritisiert Astrid diesen Ansatz und schnell ist klar, dass es ihr hier um weit mehr geht.
 
Hier muss man erwähnen, dass Astrid manche biographischen Details mit Schanelec teilt, deren langjähriger Partner, der Theaterregisseur Jürgen Gosch vor zehn Jahren an Krebs starb. Zwei Kinder hatte Schanelec mit ihm, ebenso wie Astrid, Parallelen, die dazu verführen, Astrid zumindest im Ansatz als Alter Ego der Regisseurin zu verstehen. Vielleicht ist dies aber auch nur ein weiterer allzu unmittelbarer Versuch, einen Film verstehen zu wollen, der sich auf ganz eigene Weise dem Versuch entzieht, allzu einfach verstanden zu werden. Vielleicht könnte man „Ich war zuhause, aber...“ viel einfacher als Versuch verstehen, einen Film über die Unmöglichkeit des wirklichen Verstehens zu inszenieren, als Kunstwerk, dass mit bewusster Künstlichkeit andeutet, wie unmöglich und vielleicht sogar albern das Streben nach Klarheit, nach Verstehen und Authentizität oft ist.
 
Michael Meyns