Fünf Frauen um die 100 porträtiert Uli Gaulke in seinem Dokumentarfilm „Ihr Jahrhundert – Frauen erzählen Geschichte, fünf Frauen, die viel gesehen und erlebt haben, so viel, dass es jeweils eigentlich für einen einzelnen Film gereicht hätte. In einem Gruppenporträt bleibt es zwangsläufig etwas oberflächlich, zumal Bezüge zwischen den sehr unterschiedlichen Leben und Erfahrungen eher gewollt und konzeptuell bleiben, als zwingend.
Deutschland 2024
Regie & Buch: Uli Gaulke
Dokumentarfilm
Länge: 100 Minuten
Verleih: mindjazz
Kinostart: 8. März
FILMKRITIK:
Immer mehr Menschen werden sehr alt, auch der Club der über Hundertjährigen wird stetig größer, dennoch ist dieses Alter immer noch eine Rarität. Mit älteren Menschen hat der Filmemacher Uli Gaulke Erfahrung, in „Sunset over Hollywood“ porträtierte er alternde Schauspieler der Traumfabrik, nun zeigt er in einem Konzeptfilm fünf Frauen um die Hundert.
Die älteste des Quintetts ist Haydée Arteaga Rojas, die 1915 auf Kuba geboren wurde, die Revolution miterlebte, eine Schule gründete und Inspirationsquelle für freiheitliche denkende Kubaner war. Ähnlich wie das ehemalige Knesset-Mitglied Tamar Eshal, eine 1920 in London geborene Jüdin, die während des Dritten Reiches Juden zur Flucht nach Palästina verhalf, nach der Gründung des Staates Israel im Außenministerium ihres Landes arbeitete und auch als Spionin aktiv war.
Aus Österreich stammt Ilse Helbich, 1923 in Wien geboren. Sie wandte sich erst nach langen Jahren der Ehe ihrer Passion, dem Schreiben, zu. Erst mit über 60 begann ihre schriftstellerische Karriere, ihren ersten Roman veröffentlichte sie mit 80 Jahren, erst Anfang 2024 verstarb sie im Alter von einhundert Jahren, war bei den Dreharbeiten also auch noch nicht 100.
Die einzige des Quintetts, die noch lebt, ist die 1921 ebenfalls in Wien geborene, deutsch-türkische Soziologin Nermin Abadan-Unat, die die Migration nach Deutschland erforschte und für ihre Arbeit mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. Schließlich die indische Yoga-Lehrerin Nanammal Amma, die im Laufe ihres Lebens Tausende Menschen an das Yoga herangeführt hat und ihr langes Leben vor allem auf ihre täglichen Übungen zurückführt. Während Amma zu Beginn des Films noch als 100jährige bezeichnet wird, wird am Ende richtigerweise vermerkt, das sie 2019 mit 99 Jahren verstarb.
Eine kleine, aber doch auch bezeichnende Irreführung, die zeigt, wie wichtig Uli Gaulke das Konzept der Hundertjährigen war, das im englischen Titel „Century of Women“ noch deutlicher zum Tragen kommt, nicht zuletzt auch in der Länge des Films, die tatsächlich exakt 100 Minuten beträgt. Viel wert wird also auf das Konzept gelegt, deutlich weniger auf eine sinnhafte Zusammenführung von fünf Frauen, fünf Lebensläufen, fünf Kulturen, die wenig miteinander zu tun haben, außer einem etwas vagen Gefühl, es hier mit fünf starken, selbstbestimmten Frauen zu tun zu haben.
Die Form der Paralleldokumentation hat Gaulke schon oft gewählt „Pink Taxi“ porträtierte etwa Taxifahrerinnen in Moskau, „Comrades in Dreams – Leinwandfieber“ kleine Kinobetriebe in aller Welt, doch im Fall von „Ihr Jahrhundert – Frauen erzählen Geschichte“ fasert die Erzählung oft aus. Angesichts der Kürze der Zeit, die jeder der fünf Protagonistinnen gewidmet werden kann, bleibt zwangsläufig wenig Raum, um in die Tiefe zu gehen. Mehr als kursorische Porträts sind so nicht möglich, mögliche Parallelen zwischen den Leben, den Ländern können nur oberflächlich akzentuiert werden. So bleibt am Ende der Eindruck eines Films, der sich allzu sehr auf sein Konzept versteift und dadurch versäumt, Frauen zu zeigen, die für sich genommen so spannende Leben gelebt haben, dass jede von ihnen einen eigenen Dokumentarfilm verdient gehabt hätte.
Michael Meyns