Ihre beste Stunde

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Klug verpackt die dänische Regisseurin Lone Scherfing in ihr einmaliges, historisches Drama mit satirischen Screwball-Elementen eine Geschichte weiblicher Emanzipation. Basierend auf Lissa Evans' Roman „Their Finest Hour and a Half“ nutzt ihre Heldin im Kriegsjahr 1940 in London ihre Chance. Sie macht sich durch einen eigenen Job nicht nur unabhängig, sondern sorgt mit ihrer Arbeit dafür, dass Frauen auf der Leinwand nicht nur dekoratives, männliches Anhängsel sind. Etwas, das bis heute in Hollywoodfilmen immer noch nicht selbstverständlich ist. Gleichzeitig gönnt die ehemalige Dogma-Regisseurin („Italienisch für Anfänger“) ihrer wunderbaren Hauptdarstellerin Gemma Arterton eine bewegende Romanze.

Webseite: www.ihrebestestunde.de

OT: Their Finest
Großbritannien 2016
Regie: Lone Scherfig
Darsteller: Gemma Arterton, Sam Claflin, Bill Nighy, Jack Huston, Jeremy Iron, Helen McCrory, Amanda Posey, Finola Dwyer.
Länge: 117 Minuten
Verleih: Concorde Filmverleih
Kinostart: 6.7.2017

FILMKRITIK:

London, 1940. Lässig sitzt der zynische Drehbuchautor Tom Buckley (Sam Claflin) mit der jungen Catrin Cole (Gemma Arterton) nach ihrem Vorstellungsgespräch im britischen Informationsministerium beim Kaffee. Ohne Umschweife erklärt er der Überraschten,  warum sie überhaupt angeheuert wurde. „Sie würden den Schmalz schreiben“, meint er herablassend über ihren Beitrag zum Skript eines Propagandafilms, um der Nation in Kriegszeiten wieder Mut und Hoffnung zu geben. Die „weibliche Note“ ist gefragt. Vor allem die zögernden Amerikaner sollen dadurch über ihre Frauen zum Kriegseintritt bewegt werden.
 
„Keine Nennung im Abspann“, schiebt Buckley noch hinterher. Und sein Kollege Raymond Parfitt (Paul Ritter) gibt zu verstehen: „Wir können ihnen nicht so viel zahlen wie den Männern“. Doch Catrin lässt sich nicht abschrecken. Schließlich braucht sie das Geld. Denn ihr Lebensgefährte Ellis (Jack Huston), ein mittelloser Künstler, der verwundet aus dem spanischen Bürgerkrieg zurückkam, kann sie beide nicht über Wasser halten. Die Geschichte  über die Zwillingsschwestern Lily und Rose (Francesca und Lily Knight) ist ihre große Chance. Die beiden Frauen waren mit dem Boot ihres Vaters in See gestochen, um bei der Evakuierung der Soldaten in Dünkirchen zu helfen.
 
Fieberhaft arbeitet das zusammen gewürfelte Schreibteam an einem Drehbuch über diese dramatische Rettungsaktion. Dabei kämpft Catrin immer wieder, damit Lily und Rose wirklich Heldinnen ihrer Geschichte bleiben und nicht als dekoratives, männliches Anhängsel enden. Unermüdlich bietet sie dem sturen Buckley Paroli. Dass Altstar Ambrose Hilliard (Bill Nighy) den Part des mitreisenden Onkels der beiden Schwestern übernehmen soll, macht die Sache nicht einfacher. Der divenhafte Schauspieler fordert besondere Aufmerksamkeit. Doch bald schon stellt sich heraus, dass einzig Catrin mit ihm umzugehen weiß.
   
Als bei den Dreharbeiten in Devon jedoch noch der gänzlich unerfahrene US-Luftwaffen-Hauptmann Carl Lundbeck (Jake Lacy) in der Rolle eines mutigen Journalisten in der Geschichte mitspielen soll, verzweifelt die Crew fast. Auf ihn will das Propagandaministerium freilich auf keinen Fall verzichten. Schließlich soll der blonde Hüne dafür sorgen, dass auch das US-amerikanische Publikum begeistert ist. Aber Catrin findet zusammen mit Buckley einen Ausweg aus der Misere. Über alle Konflikte hinweg, nähern sich die beiden mehr und mehr an.
 
Dass die ehemalige dänische Dogma-Regisseurin Lone Scherfig ihre romantische Tragikomödie eher konventionell inszeniert mag man bedauern. Der Qualität des einmaligen Period Piece tut es jedoch keinen Abbruch. Mit treffenden, scharfsinnigen Dialogen und Witz besticht nicht allein der Schlagabtausch zwischen ihrer Heldin Gemma Arterton und Hauptdarsteller Sam Claflin. Die beiden erinnern bei ihren hitzigen Wortgefechten streckenweise an ein Duo aus besten Screwball-Komödien von Howard Hanks. Die klug eingearbeitete Emanzipationsgeschichte, wie sich eine gewitzte Frau in der männerdominierten Filmbranche behauptet, passt perfekt und macht eine der Stärken ihres fesselnden period piece aus.
 
Explizit betont Lone Scherfig dabei die Rolle der Frau in Kriegszeiten. Ihre Heldin steht für eine ganze Generation, nicht nur englischer Frauen. Denn im Krieg sorgten die Frauen dafür, dass die heimische Wirtschaft nicht zusammenbrach. Nur auf diesem Hintergrund konnten sie sich zeitweise berufliche Positionen ergattern. Kaum war der Krieg vorbei und die Männer zurück, wurden sie wieder an den Herd verbannt. Gekonnt mischt ihr Antikriegsfilm Drama, Komödie und Romantik. Erneut beweist sie ihr sehr feines Gespür für die Komik in der Tragik. Schon in ihrem Dogma-Film „Italienisch für Anfänger“ war es die Unbeholfenheit einsamer Menschen, über die mitfühlend geschmunzelt werden konnte.
 
Besonders Darsteller Bill Nighly beherrscht die subtile Komik überwältigend. Seine Figur des distinguierten Altstars mit britischem Understatement erobert Szenen im Sturm. Sam Claflin als eigensinniger Buckley ist ein romantischer Held, mit rauem Charme. Und in einer Welt, in der junge Stars auf Medientauglichkeit gebürstet werden, indem die Filmbranche ihnen Persönlichkeit und Haltung abtrainiert, hat der erfrischende Auftritt von Gemma Arterton schon Seltenheitswert. Das ehemalige Bond-Girl aus „Ein Quantum Trost“ beweist endgültig seine umwerfenden schauspielerischen Qualitäten. Gleichzeitig zeigt Regisseurin Lone Scherfig mit erschütternden Bildern immer wieder, dass ihre Protagonisten durch das mörderische NS-Regime tödlichen Gefahren und Ängsten ausgesetzt sind. Den Zweiten Weltkrieg aus dieser Perspektive zu sehen kann für ein deutsches Publikum durchaus lehrreich sein.
 
Luitgard Koch