Il Divo

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Paolo Sorrentinos Film über den italienischen Politiker Giulio Andreotti, der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie kaum ein anderer die Politik seines Landes prägte, ist ein herausragender Politfilm. Er durchbricht die Einschränkungen des biographischen Genres mit einer überreichen, elliptischen Erzählweise voller Details und Anekdoten, die Nichtkenner der italienischen Verhältnisse oft vor Rätsel stellt und von Toni Servillos zentraler Darstellung zusammengehalten wird. Ein stilistisch brillanter Film, von dem man nur hoffen kann, dass ihn auch deutsche Regisseure zur Kenntnis und zum Vorbild nehmen.

Webseite: www.delphi-film.de

Il Divo
Italien 2008
Regie und Buch: Paolo Sorrentino
Darsteller: Toni Servillo, Anna Bonaiuto, Piera Degli Esposti, Paolo Graziosi, Giulio Bosetti, Flavio Bucci, Carlo Buccirosso
Länge: 110 Minuten, Format: 1:2,35 (Scope)
Verleih: Delphi
Kinostart: 16. April 2009

PRESSESTIMMEN:

Sorrentinos elegante, satirische Biografie des unscheinbaren Strippenziehers Giulio Andreotti erinnert an Francis Ford Coppolas 'Paten' und wurde zu Recht von der Kritik gefeiert und letztes Jahr in Cannes preisgekrönt.
KulturSPIEGEL

FILMKRITIK:

Die italienische Politik ist an schillernden Figuren gewiss nicht arm, doch Giulio Andreotti, seit 1947 Teil des politischen Establishments, überstrahlt sie alle. Sieben Mal war er Premierminister – manchmal nur für wenige Tage –, zigfach Außen- und Verteidigungsminister, dazu in diversen anderen Ministerämtern tätig und seit 1992 Senator auf Lebenszeit. In dieser Phase seiner Karriere siedelt Paolo Sorrentino seinen Film an. Im April 1991 war Andreotti zum siebten Mal zum Premierminister gewählt worden, doch nun sah es so aus, als würden ihn die Schatten seiner Vergangenheit endgültig einholen. Jahrzehnte hatte er als Kopf der Christdemokratischen Partei die italienische Politik beherrscht, war Teil von sage und schreibe 33 Regierungen und immer wieder mit Korruptionsvorwürfen und Mafiakontakten konfrontiert worden. Anfang der 90er Jahre kam es tatsächlich zu einem Prozess gegen Andreotti, dem Mitwisserschaft in die Ermordung diverser Journalisten und Politiker vorgeworfen wurde, die ihn mit ihren Aussagen schwer belasten hätten können. Zwar wurde Andreotti in zweiter Instanz verurteilt, doch in der Berufung wurde das Urteil aufgehoben und Andreotti blieb bis heute ein freier Mann und einflussreicher Teil der italienischen Politik.

So verwundert es auch nicht, dass der Film Andreotti nie unmittelbar angreift, ihn nie direkt mit zahllosen Straftaten in Verbindung bringt. Stattdessen baut Sorrentino ein Netz an Indizien, an beglaubigten Aussagen und Hinweisen auf, die zwar offensichtlich nicht ausreichten, Andreotti im Gerichtssaal zu verurteilten, aber ein eindeutiges moralisches Urteil fällen. Und doch ist „Il Divo“ weit mehr als die Anklage eines Politikers. Vielmehr ist es die Anklage eines verfilzten, korrupten Systems, dass seit Jahrzehnten die Geschicke eines ganzen Landes bestimmt, das von Verbindungen mit der Mafia durchzogen ist und das auch heute, auch nach Andreotti fortbesteht. Silvio Berlusconi taucht im Film zwar nicht auf, sein Name fällt nur einmal, aber das man in ihm einen neuen Andreotti sehen kann und vielleicht sogar muss, daran lässt der Film wenig Zweifel.

Zumal Sorrentino es sich nicht einfach macht und Andreotti schlichtweg verdammt. Mit Toni Servillos herausragender Darstellung (unterstützt von perfektem Make-Up, dass den 50 jährigen Schauspieler Andreotti zum Verwechseln ähnlich macht) wirft der Film einen Blick hinter die Kulissen eines Machtpolitikers, der ohne Skrupel und Zweifel agiert. Bisweilen mutet die grotesk überzeichnete Darstellung der Verhältnisse an, als hätte Fellini hinter der Kamera gestanden, dann wieder wähnt man sich in einem eiskalt operierenden Mafiafilm á la Scorsese oder dem letztjährigen „Gomorra“. 

Zusammen mit Matteo Garrones Film bildet „Il Divo“ ein faszinierendes Politfilm-Doppel, wie man es auch von deutschen Regisseuren zu gerne sehen würde. Doch gerade der Vergleich mit vorgeblich politischen Filmen wie „The International“ und besonders dem über weite Strecken bemerkenswert banalen „Deutschland 09“, zeigt sich ein himmelweiter Unterschied – und von den Banalitäten eines Bernd Eichingers wollen wir gar nicht erst reden. Man würde sich wünschen, dass auch über schillernde Politikerfiguren wie Willy Brandt oder Franz Josef Strauss solche Filme gedreht werden würden wie über Andreotti, dass auch die schwarzen Kassen eines Helmut Kohls so schonungslos seziert werden würden, wie die Mafiaverbindungen der italienischen Politik. Aber einen Fassbinder hat das Neue Deutsche Kino dann doch (noch) nicht hervorgebracht, allerdings auch keinen Paolo Sorrentino.
Michael Meyns

Mit dem “Göttlichen” ist der italienische Spitzenpolitiker Giulio Andreotti gemeint, der im Januar dieses Jahres 90 Jahre alt wurde.

Was für ein Berufsleben! Siebenmal war Andreotti italienischer Premierminister, 25mal Minister. 29mal wurde er angeklagt, 29mal freigesprochen. Aber wessen wurde er angeklagt? 

Das politische Leben Italiens scheint in den 70er bis 90er Jahren u.a. von Korruptionsaffären, Finanzskandalen, Mafia-Verbindungen, Festnahmen, Prozessen, Morden, Kungeleien zwischen den Parteien und einzelnen Parteigruppierungen gekennzeichnet gewesen zu sein. Politiker und ihre Einflüsterer, Bankdirektoren, Journalisten, Mafia-Bosse und viele andere seien darin verwickelt gewesen, heißt es.

Und über allem thronte gewissermaßen der intelligente, gerissene, anscheinend zwischen allem lavierende, jedoch auch oft verleumdete, mit bösen Spitznamen versehene, ständig unter Migräne leidende, leicht gebückt gehende, einzelgängerische, vielleicht doch machtbesessene, immer scharf bewachte Andreotti. Verurteilen konnte man ihn nie. Vom Vorwurf der Mitwirkung in einer mafianahen Vereinigung wurde er aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Die Roten Brigaden und die Mafia wetteiferten in dieser Periode mit dem Morden. Auch die Politiker? Anzunehmen ist viel, zu beweisen ist nichts. 

Der Film zeichnet ein furioses Bild jener Zeit: Absprachen, offene Kämpfe, Geheimniskrämerei, Tragödien, aber auch einfachstes Privatleben.

Amintore Fanfani, Bettino Craxi, Luigi Scalfaro, Aldo Moro, Sandro Pertini, Francesco Cossiga und andere – viele bekannte Politiker und Persönlichkeiten kommen in dem Film vor. An die 30 sind es. Vom erwiesenen Niedergang der Democrazia Cristiana allerdings wird nicht viel spürbar.

2008 erhielt Toni Servillo für seine Verkörperung des Giulio Andreotti den Europäischen Filmpreis als bester Darsteller. Er hat ihn mehr als verdient. Wie er das äußere Bild, den Charakter, die Eigenarten, den politischen Anspruch Andreottis und dessen Ambivalenz wiedergibt, ist beeindruckend.

Thomas Engel