In seinem streng komponierten Spielfilmdebüt „Im Haus meiner Eltern“ verhandelt Tim Ellrich interessante Fragen, deren Antwort er den Zuschauenden überlässt: Wie soll man mit einem schizophrenen Verwandten umgehen, wie sehr sein eigenes Leben hintenanstellen, um Verwandte zu pflegen? Schwere Themen, auf fast dokumentarische Weise umrissen.
Über den Film
Originaltitel
Im Haus meiner Eltern
Deutscher Titel
Im Haus meiner Eltern
Produktionsland
DEU
Filmdauer
95 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Elrrich, Tim
Verleih
Verleih N.N.
Starttermin
10.04.2025
Sein erster längerer Film war noch ein reiner Dokumentarfilm: Zusammen mit der vietnamesisch-deutschen Regisseurin Thi Hien Mai beschäftigte sich Tim Ellrich in „Mein Vietnam“ mit der Frage, wo für Menschen mit Migrationshintergrund ihre Heimat liegt, im Exil, in dem sie seit langem Leben, oder doch in der Heimat der Eltern, die sie vielleicht gar nicht persönlich kennen.
Für seinen zweiten Film, gleichzeitig sein Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg, griff Ellrich auf eine sehr persönliche Geschichte zurück, die er auf fast dokumentarische Weise schildert, betont ohne stilistische Zuspitzungen und dadurch offen und suchend.
Im Mittelpunkt steht Holle (Jenny Schily), eine an Ellrichs eigene Mutter angelehnte Frau, Tochter und Schwester. Als Heilerin arbeitet Holle, versucht Menschen mit bisweilen esoterisch anmutenden Methoden aus persönlichen Krisen zu helfen. In Dieter (Johannes Zeiler) hat Holle zwar einen Partner, doch viel Zeit verbringt sie bei ihren Eltern Elisabeth (Ursula Werner) und Thomas (Manfred Zapatka), besorgt ihren Einkauf, kocht. Zwei andere Geschwister, die Schwester Frauke (Kirsten Block) und der Bruder Niels (Peter Schneider) halten sich weitestgehend raus, man könnte fast sagen: Sie vernachlässigen die Eltern bzw. verlassen sich auf Holle.
Und dann ist da noch ein viertes Geschwisterteil: Sven (Jens Brock), der vor vielen Jahren als schizophren diagnostiziert wurde, aber jegliche Behandlung ablehnt. Eltern und Geschwister haben sich damit abgefunden, dass Sven sich immer mehr in seine Welt zurückzieht, die vor allem aus dem Dachboden der Eltern besteht, wo er seit langem lebt. Allein Holle sorgt sich um den Bruder, versucht ihm zu helfen, spricht Psychologen an, verbeißt sich zunehmend in der Aufgabe, die sie vielleicht gar nicht übernehmen kann oder soll.
Warum opfern sich manche Menschen für Verwandte auf, für Menschen, die ihnen manchmal eigentlich gar nicht nahestehen? Ist es allein das Pflichtgefühl, das manche Menschen dazu bringt, ihr eigenes Leben zu vernachlässigen? Es ist Holles Freund, der diesen Gedanken bei einem Essen mit Freunden in den Raum stellt. Ein wenig losgelöst wirkt dieser Moment, dessen Implikationen in der Handlung des Films nicht wieder aufgenommen, schon gar nicht unmittelbar diskutiert wird. Aber er schwingt mit, beeinflusst das Sehen der Bilder von Holle, die sich immer intensiver um Sven kümmert, auch wenn ihre eigene Beziehung und auch die zu Eltern und Geschwister darunter leidet.
Betont undramatisch schildert Tim Ellrich diese Entwicklung, zeigt sie in strengen schwarz-weiß Bildern aus meist ruhender Kamera, ohne stilistische Überhöhung, ohne musikalische Untermalung, ohne dramatische Zuspitzungen. Ein wenig flach wirkt „Im Haus meiner Eltern dadurch bisweilen, wie eine der Familienaufstellungen, die auch Holle als Behandlungsmethode anwendet.
Dezidiert verzichtet Ellrich auf jegliche Antworten, sondern belässt es bei Fragen. Ein distanzierter, intellektueller Ansatz, der zwar das dramatische Potential der Konstellation ignoriert, dafür aber zu einem in keiner Weise manipulativen Film führt, der allein durch seinen zurückgenommenen Blick berührt.
Michael Meyns